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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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Nützliches also. Aber was? Die Kleider waren weggeräumt und hingen ordentlich auf ihren Bügeln im Schrank. Slips und Strümpfe waren frisch gewaschen und hingen zum Trocknen im Badezimmer. Die Reisetasche stand leer und verschlossen an der Wand. Die Schuhe hatte sie am Nachmittag geputzt. Alle drei Paar.
    Björns Vater heißt Jörgen.
    Gab es kein Radio im Zimmer? Nein. Offensichtlich nicht. Und von einem Fernseher konnte natürlich keine Rede sein. Das Buch auf dem Nachttisch hatte sie letzte Nacht zum dritten Mal gelesen, als sie nicht schlafen konnte. Es war miserabel. Richtig schlecht. Eine total lächerliche Geschichte über einen Verführer …
    Verführt. Das war das Wort, das sie hinterher für sich selbst benutzt hatte. Sie hatte an sich selbst als an ein Mädchen gedacht, das verführt worden war. Aber Tatsache war ja, dass da gar nicht so viel Verführung im Spiel gewesen war. Tatsache war, dass er sie ins Gras geschubst hatte. Dass er sie ins Gesicht geschlagen hatte, bis sie Nasenbluten bekam. Dass er ihre Kehle gepackt und so fest zugedrückt hatte, dass sie hinterher Blutergüsse gehabt hatte …
    Nein. Nicht so denken. Sich nicht erinnern. Nicht sich selbst zwingen, sich zu vergegenwärtigen, wie sie … Nein!
    Doch es nutzte nichts. Sie stand mitten im Zimmer und konnte spüren, wie es noch einmal passierte, wie sie mit Jörgens Arm um ihre Schulter durch den Svandamspark ging. Es war still, vollkommen still zwischen ihnen, und sie ließ ihre Gedanken im gleichen langsamen Takt wandern, wie sie spazierten. Sie streiften den Schulball, von dem sie sich kurz zuvor weggestohlen hatte. Jörgen hatte lieber draußen auf dem Schulhof gewartet, als hereinzukommen, er hatte im Schatten unter einem Baum gestanden und ernst dreingeschaut, bis sie kam. Da zeigte er sein breites Lächeln, dieses warme, offene Lächeln, das nur ihr gehörte. Einen Moment lang hatte sie überlegt, warum er nicht zum Ball hereinkommen wollte, warum er sich nie mit ihr vor anderen zeigte, aber in der nächsten Sekunde hatte sie sich mit dem Gedanken getröstet, dass er nun einmal vier Jahre älter war und sicherlich keinen Wert auf den Umgang mit jeder Menge von Gymnasiasten legte. Abgesehen von ihr. Mit ihr wollte er tatsächlich zusammen sein. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter, der Tweed seines Mantels scheuerte leicht an ihrer Wange, und sie seufzte zufrieden. Er reagierte darauf, indem er sie an sich drückte.
    Es war dunkel im Park. Herbstdunkel. Auf der anderen Seite vom Svandammen konnte man in einigen Villen Licht sehen, aber auf dieser Seite war es dunkel. Man sah nicht einmal den Wasserturm ein Stück entfernt, nur eine Laterne im Park davor. Das war schön. Sie seufzte zufrieden. Sie war ein Mädchen, das zusammen mit einem Jungen durch den Park ging, nein, mit einem jungen Mann, und alles war still, friedlich und schön um sie her. Sie musste weder an ihren verrückten Vater noch an ihre sonderbare Mutter denken, noch an ihre ewig beleidigte Schwester, die immer nur nörgelte und an allem etwas auszusetzen hatte, was Elsie sagte und tat, die nicht einmal wusste, warum sie meckerte. Aber Elsie wusste es. Neid. Das war der Grund. Inez beneidete Elsie, obwohl sie gar nicht wusste, was sie eigentlich beneidete, jetzt, nachdem sie ihren BH fast genauso gut ausfüllte wie ihre Schwester. Sie hatte Inez gegenüber nie ein Wort über Jörgen fallen lassen. Sie hatte auch zu keinem anderen Menschen je ein Wort über ihn gesagt. Er war ihr Geheimnis. Und sie war seines. Aber es war ein glühend heißes Geheimnis, eines, das sie erstrahlen, erbeben und leuchten ließ, ohne dass jemand anderer als er selbst wusste, warum sie strahlte, erbebte und leuchtete. Aber sie sahen das Licht. Sie spürten die Hitze. Sie sahen das Licht und spürten die Hitze, und deshalb beneideten sie sie.
    Jörgen war es gewesen, der es so hatte haben wollen, gleich von Anfang an. Er hatte etwas dahingehend bemerkt, dass er auf der Liste der Vertretungslehrer stand und es deshalb nicht gut wäre, ja, ausgesprochen schlecht, wenn jemand sie zusammen sähe. Deshalb hielten sie sich also verborgen, wenn er nach Landskrona kam, um seine Eltern zu besuchen. Er wohnte ja in Lund. Studierte Medizin und wollte Arzt werden. Und Elsie, hatte er eines Abends vor ein paar Wochen geflüstert, sollte seine kleine Arztfrau werden …
    An diesem Abend hatte er mit ihr schlafen wollen. Hatte sie darum angebettelt, fast geweint, als sie stumm den Kopf geschüttelt

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