Eis und Wasser, Wasser und Eis
mit jemandem von der Besatzung aus, wenn sie nicht mindestens zu dritt waren. Niemals. Seit vielen Jahren hatte sie nicht mehr allein mit einem Mann in einem Restaurant gesessen. Bis heute Abend. Ein Schaudern überlief sie. Sie wusste nicht, was sie alles versäumt hatte. Aber sie wusste definitiv, was sie damit vermieden hatte.
»Oder?«, fragte Karl-Erik.
Sie blinzelte und starrte ihn einen Moment lang an, bevor sie ihr Gesicht wieder unter Kontrolle hatte und lächelte. Sie hatte keine Ahnung, wovon er sprach, nahm aber an, dass sie ihm zustimmen sollte.
»Ja. Auf jeden Fall.«
»Na prima. Dann werde ich das morgen regeln.«
Mein Gott! Womit hatte sie sich da einverstanden erklärt?
»Obwohl …«
Ihre Stimme zitterte. Karl-Erik hielt sein Glas auf halber Höhe.
»Ach was. Ich rufe einfach meine Sekretärin an. Das geht auf Firmenkosten, wissen Sie. Und Sie wollen doch sowieso nach Hause, nicht wahr?«
Nach Hause? Wollte er ihre Heimreise buchen?
»Ja, aber ich weiß nicht …«
Er trank einen Schluck Wein.
»Aber ich. Sie fahren mit uns.«
Aha. Damit war das entschieden. Sie würde nach Hause fahren. Oder zumindest nach Schweden.
Nach dem Essen zog er eine Zigarre heraus und wickelte sorgfältig das Zellophan ab, während die Kellnerin die Teller abräumte. Elsie ließ den Blick durchs Fenster gleiten. Draußen war es dunkel. Der Asphalt glänzte, wenn ein Auto vorbeifuhr. Vielleicht regnete es ja.
»Sie reden nicht viel«, sagte Karl-Erik und zündete sich seine Zigarre an. »Genau wie Ihr Sohn.«
Elsie richtete sich auf und versuchte sich zusammenzunehmen.
»Wahrscheinlich bin ich nur ein bisschen müde.«
»Aber Sie wollen doch noch ein Dessert?«
Seufz. Dann also auch noch Dessert. Wieder her mit dem höflichen Lächeln.
»Wenn Sie möchten, dann …«
»Habe ich mir doch gedacht. Alle Damen möchten Dessert. Meine Frau …«
»Sie sind verheiratet?«
Karl-Erik verzog das Gesicht.
»Gewesen.«
Eine Weile schwiegen beide Mit gesenktem Blick.
»Nun«, sagte Karl-Erik schließlich. »Erzählen Sie.«
Elsie war so überrascht, dass sie zu lächeln vergaß.
»Erzählen? Was soll ich erzählen?«
»Wer Sie sind«, sagte Karl-Erik. »Was Sie gemacht haben. Erzählen Sie mir von Ihrem Leben.«
»Björns Vater heißt Jörgen«, sagte Elsie.
Nein. Das hatte sie ja wohl nicht wirklich gesagt. Das konnte sie nicht gesagt haben. Das war nicht möglich.
Hinterher konnte sie sich nicht mehr daran erinnern, wie es tatsächlich gewesen war. Als sie im Bad des Hotelzimmers vor dem Spiegel stand und sich die Haarnadeln aus der Hochsteckfrisur zog, versuchte sich es sich ins Gedächtnis zu rufen, aber es wollte ihr nicht gelingen. Die Gedanken flogen die ganze Zeit zurück zu diesem Satz. Björns Vater heißt Jörgen.
Sie ließ sich auf den Toilettensitz sinken, die Haarbürste in der Hand. Sie konnte das nicht gesagt haben. Sie konnte nicht das gesagt haben, was sie sich bis zu diesem Tag keinem einzigen Menschen zu sagen gestattet hatte. Inez nicht. Lydia nicht. Nicht einmal Björn selbst. Aber zu Karl-Erik hatte sie es gesagt. Einem wildfremden Menschen.
Sie stand auf und schaute ihr Spiegelbild an. Das war nicht schön. Das Haar hing herunter. Die Wimperntusche war abgewaschen. Der Lippenstift abgeleckt. Sie sah blass und fahl aus, mit grauem Gesicht, grau um die Lippen und mit kleinen Schweinchenaugen, die immer kleiner wurden, je länger sie in sie hineinstarrte. Oje. Sie wandte sich ab und zog sich den Bademantel an, löschte das Licht, noch bevor sie das Bad verlassen hatte, um sich selbst nicht mehr sehen zu müssen, aber das Erste, was sie sah, als sie ins Zimmer trat, war eine unscharfe Gestalt in dem schwarzen Fenster. Wieder ihr Spiegelbild. Sofort ging sie hin und zog die Gardinen vor, drehte sich dann um, bereit, etwas Nützliches zu tun. Etwas, das sie von allen Gedanken ablenken würde.
Nein. Sie hatte es nicht gesagt. Sie war sich dessen fast sicher. Und wenn sie es doch gesagt hatte, dann hatte Karl-Erik es jedenfalls nicht gehört. Dessen war sie sich vollkommen sicher. Sonst hätte er auf dem Heimweg ja wohl nicht gelacht und Scherze gemacht. Oder ihr unten in der Lobby einen Kuss auf die Wange gegeben. Nein. Das war alles nur Einbildung. Und daran war dieser Mats schuld. Er war es gewesen, der diese Frage gestellt hatte, die ihre Erinnerungen wieder aufgewühlt hatte. Blödsinn. Reiner Blödsinn. Sie zog den Gürtel des Bademantels enger und schaute sich um. Etwas
Weitere Kostenlose Bücher