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Eis und Wasser, Wasser und Eis

Titel: Eis und Wasser, Wasser und Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Majgull Axelsson
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umgedreht und unterhielten sich untereinander. Recht geschah es diesem Idioten.
    Björn hatte nichts gegen Playback. Jetzt nicht mehr, nachdem er es probiert hatte. Im Gegenteil, es war eine Erleichterung, nicht so singen zu müssen, dass es zu hören war, dass Mikrofon und Verstärker abgeschaltet waren und eine dicke Gummidecke auf den Trommeln lag. Er musste nur darauf achten, ganz genauso vor sich hin zu singen, wie er auf der Platte sang. Aber Tommy war wütend, weil er kein Extrasolo würde hinlegen können, eine dieser Varianten, die er gern bei ihren Auftritten vorführte. Er hielt sich für ein Genie, ein musikalisches Genie, und hatte gehofft, dass die Welt es an diesem Tag erfahren würde.
    »… and here they are, all the way from Sweden …«
    Mikes Stimme ging in schrillem Kreischen unter. Das Publikum war in Hochform.
    Jetzt, dachte Björn. Jetzt passiert es.
    Tommy machte einen Schritt auf die Bühne und hob eine Hand zum Publikum. Peo folgte ihm, ließ sich hinter dem Schlagzeug nieder und wedelte zur Begrüßung mit seinen Sticks. Niclas und Bosse huschten direkt hinter ihm heran, nur Björn wartete, wartete, bis sie sich die Gitarren umgehängt hatten, dann hob er beide Hände, trat auf und lächelte schnell das Publikum an.
    »… and Bjorn Hallgren«, rief Mike.
    Das Publikum antwortete mit einem Schrei. Als ob sie wüssten, wer er war.
    Er hielt das ausgeschaltete Mikrofon dicht vor den Mund, so dicht, dass er fast fühlen konnte, wie das kühle Metall seine Lippen berührte. Er sang, aber nicht besonders laut, nicht so laut, dass jemand außer ihm es hätte hören können. Er sang vor sich hin, ganz einfach. Der Gedanke war angenehm, ließ ihn nach dem ersten Refrain lächeln, und das Lächeln wurde augenblicklich mit einem lauten Raunen des Publikums beantwortet. Er ließ das Mikrofon kurz sinken, hob es dann wieder hoch und schloss halb die Augen, ließ den Blick über die Mädchen gleiten, die ganz vorn standen, Mädchen, deren Gesichter die ganze Zeit die Farbe wechselten, da die Scheinwerfer, die über sie hinwegfegten, die ganze Zeit die Farbe wechselten, und er ließ seinen Blick bei einer verweilen. Das Traummädchen. Ein schlankes, blondes Mädchen mit langem Pony und rotem Kleid. So eine, dachte er und zwang sich, den Blick abzuwenden, direkt in die Kamera zu gucken, die hinter ihr schwebte, und wieder loszusingen. So ein Mädchen möchte ich haben. Wenn ich überhaupt eine haben will, wenn es nicht genügt, hier auf Abstand zu stehen und sie und hundert andere Bräute zu sehen … Der Blick glitt zurück zu ihr, und sie lächelte ihn an. Es war ein zaghaftes Lächeln, fast zitternd, und ihn durchfuhr ein reines Glücksempfinden. Sekunden später hatte er sie vergessen. Er drehte sich in eine andere Richtung und schloss die Augenlider wieder halb, aber das Gefühl blieb, es vibrierte in ihm, lief ihm wie ein Prickeln übers Rückgrat, dass sich die Härchen auf seinen Armen aufrichteten. Er senkte den Kopf und ließ den Blick über das Publikum direkt vor der Bühne wandern, sah ein Mädchen mit dunklem Haar, das sich die Hände vor den Mund gepresst hatte, als wollte sie einen Schrei unterdrücken, sah einen langen Typen mit richtig langem Haar, Haar, das ihm weit den Rücken hinunterreichte. Der Typ beobachtete ihn mit ernster Miene, nickte im Takt der Musik, vielleicht nickte er auch nur, um seine Zustimmung zu zeigen. Er sah einen anderen Jungen, einen Jungen mit halb langem Pagenkopf, genau wie er selbst, der mit den Schultern im Takt zuckte und mit den Hüften wackelte wie ein Mädchen.
    Jetzt zog Tommy sein Solo durch, dieses kurze Solo, das mit auf der Platte war, und Björn drehte sich halb zur Seite, stand mit gesenktem Mikrofon da und wippte im Takt, tat so, als würde er die Vorführung dieses Idioten tatsächlich genießen, bevor er der Band wieder den Rücken zuwandte und erneut zu singen anfing. Er hörte seine eigene Stimme nicht mehr, oder besser gesagt, genau das tat er, er hörte seine eigene, aufgenommene Stimme, aber nicht die, mit der er gerade sang.
    Ich bin ein Spiegel, dachte Björn und trat einen Schritt näher an die Rampe heran. Mich gibt es nicht. Ich bin nur ihr Spiegelbild. Aber ich liebe das hier. Jetzt, in diesem Augenblick, liebe ich es wirklich.
    Und dann war es vorbei. Schluss. Aus. Plötzlich stand er hinten zwischen den schwarzen Kulissen und starrte in Richtung Bühne, hörte eher, als dass er sah, wie das Publikum, das ihm eben noch zugejubelt

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