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Eisberg

Titel: Eisberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Cussler
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angelangt, fuhr er quer über die Weiden, wobei sein Wagen eine kleine Fahne roten Vulkanstaubs hinter der Heckklappe herzog. Nach einigen Minuten hielt er am Ortseingang eines Dorfes. Es bestand aus weißgetünchten Bauernhäusern; das Ortsbild wurde von dem traditionellen isländischen Friedhof bestimmt.
    Ein braungebrannter kleiner Mann mit freundlichen grünen Augen, die durch dicke, stahlgefaßte Brillengläser vergrößert wurden, trat zu ihnen, stellte sich selbst als Dr. Jonsson vor und führte Pitt, nachdem er sich Hunnewell angesehen hatte, in sein Haus. Dort vernähte er Pitts sechs Zentimeter lange klaffende Wunde am Kopf, verband sie und gab ihm trockene Kleider zum Wechseln. Später, als Pitt gerade ein starkes Gebräu aus Kaffee und Schnaps trank, das ihm der Doktor aufgezwungen hatte, traten der Junge und sein Vater ein.
    Der Junge nickte Pitt zu und sagte: »Mein Vater würde es als eine große Ehre betrachten, wenn er Sie und Ihren Freund nach Reykjavik bringen dürfte, sofern Sie dort hinwollen.«
    Pitt stand einen Moment da und blickte unverwandt in die warmen grauen Augen des Alten.
    »Sag deinem Vater, daß ich ihm sehr dankbar bin und daß es mir eine Ehre ist.« Pitt streckte dem Mann die Hand hin, und der Isländer drückte sie fest.
    Der Junge übersetzte. Sein Vater nickte nur, und dann drehten sich beide um und verließen den Raum ohne ein weiteres Wort.
    Pitt zündete sich eine Zigarette an und sah Dr. Jonsson seltsam an. »Ihr seid ein merkwürdiges Volk, Doktor. Ihr scheint von Wärme und Herzlichkeit überzuquellen; aber wenn man nach euerm Äußeren geht, dann kennt ihr scheinbar überhaupt keine Gefühle.«
    »Sie werden merken, daß die Bewohner Reykjaviks offenherziger sind. Hier sind Sie auf dem Land, in einer kargen, abgelegenen Gegend. Die Isländer, die abseits der Stadt wohnen, sind für ihre Verschlossenheit bekannt. Wir reden wenig, dafür können wir die Gedanken des anderen lesen, noch ehe sie ausgesprochen sind. Leben und Liebe sind Allgemeingut; der Tod ist ein natürliches Ereignis, das man schweigend hinnimmt.«
    »Ich habe mich gewundert, daß die Kinder so wenig betroffen schienen, als sie neben einer Leiche saßen.«
    »Der Tod ist für uns nur eine Trennung, und zwar eine rein äußerliche. Denn sehen Sie –«, die Hand des Doktors wies durch ein großes Panoramafenster auf die Grabsteine des Friedhofs –, »die, die vor uns gegangen sind, sind immer noch da.«
    Pitt blickte hinaus auf die Grabsteine, die, jeder in einem anderen Neigungswinkel, krumm aus dem grünen, moosigen Gras hervorragten. Dann wurde seine Aufmerksamkeit von dem Bauern gefesselt, der eben einen handgearbeiteten Kiefernsarg zu dem Landrover trug. Er beobachtete gebannt, wie der große, stille Mann Hunnewells Leiche in den nach alter Tradition spitz zulaufenden Kasten hob. Er tat es mit all der Stärke und Zärtlichkeit, die ein frischgebackener Vater seinem Kind entgegenbringt.
    »Wie heißt der Bauer?« fragte Pitt.
    »Mundsson, Thorstein Mundsson. Sein Sohn heißt Bjarni.«
    Pitt schaute durch das Fenster, bis der Sarg langsam auf die Ladefläche geschoben wurde. Dann wandte er sich ab. »Ich frage mich, ob ich etwas falsch gemacht habe und Dr. Hunnewell noch am Leben sein könnte.«
    »Wer wird das je wissen? Bedenken Sie bloß, mein Freund, daß Ihr Lebensweg vielleicht nie den seinen gekreuzt hätte, wenn Sie nur zehn Minuten früher oder später geboren worden wären.«
    Pitt lächelte schmerzlich. »Ich verstehe. Aber es ist eine Tatsache, daß sein Leben in meiner Hand lag. Und ich habe gepfuscht und es verloren.« Er zögerte und hatte die ganze Katastrophe noch einmal vor Augen.
    »Am Strand war ich, nachdem ich seinen Arm verbunden hatte, für eine halbe Stunde in eine Art Ohnmacht gesunken. Wäre ich wach geblieben, wäre er vielleicht nicht verblutet.«
    »Sie können Ihr Gewissen beruhigen. Dr. Hunnewell starb nicht an Blutverlust. Er starb an dem Schock, den er durch die Verwundung, den Absturz und das kalte Wasser erlitten hatte. Ich bin sicher, die Autopsie ergibt, daß sein alterndes Herz schon vor dem Kreislaufkollaps versagte. Er war nicht mehr der Jüngste, und er war körperlich untrainiert, soweit ich das beurteilen kann.«
    »Er war Wissenschaftler, Ozeanograph, der beste, den es gab.«
    »Dann beneide ich ihn.«
    Pitt sah den Dorfarzt fragend an.
    »Er war ein Mann des Meeres, und er starb durch das Meer, das er liebte. Vielleicht waren seine letzten Gedanken ebenso

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