Eisblut
Daniel nicht weiter zu stören schien. Der Riss existierte,
seit sie in diese Bruchbude eingezogen waren, und er hatte sich seitdem stetig
vergröÃert.
»Was sollân das, Herd?«, fragte Volker. Sie hatten weià Gott andere
Dinge zu tun.
»Seit Monaten telefoniere ich hinter der Hausverwaltung her. Bis die
einen Handwerker schicken, ist der Riss so breit wie der Grand Canyon. Also
mache ich es selbst. Aufstemmen, auffüllen, zuspachteln. Ist eh besser, wenn
ich mich drum kümmere, dann weià ich, dass es anständig gemacht wird.« Eberhard
klopfte und kratzte und stemmte ungerührt weiter.
»Yvonne flippt aus, wenn sie die Sauerei sieht«, meinte Volker.
Eberhard schien das wenig zu beeindrucken. »Ist sie schon. Die kann
schreien, die Kleine ⦠Wie warâs gestern bei Chris? Hat er angebissen?«, fragte
er, während Volker sich am staubüberzogenen Waschbecken in der Ecke etwas
frisch machte und das verschwitzte Shirt gegen ein sauberes aus seiner Tasche
austauschte.
»Auf den Fall nicht. Noch nicht. Aber auf das Stichwort Anna«,
antwortete Volker.
»War sie mit Pete bei Mohsens Mutter?«, wollte Yvonne wissen, die
mit einer Kanne Kaffee, einigen Tassen und einem Putzeimer voll Wasser
hereinkam. Letzteren stellte sie Eberhard vor die FüÃe. Der seufzte, lieà von
seiner Arbeit ab, verstaute sein Werkzeug in einem bereitstehenden Koffer und
begann, den Konferenztisch von der Staubschicht zu befreien.
Yvonne, die kleine, quirlige Assistentin mit dem hellblonden
Wuschelkopf, war von Christian im blutjungen Alter von zwanzig Jahren als
Praktikantin eingestellt worden â wegen ihrer guten Laune und ihrer groÃen
Klappe. Zur Freude aller war sie geblieben und kümmerte sich seither um die
organisatorischen Aufgaben wie um lebenserhaltende MaÃnahmen für das Team. Sie
sorgte für Getränke, für die gelegentliche Zufuhr von Vitaminen, wenn es wegen
hoher Arbeitsbelastung mal wieder zu häufig Pizza im Stehen gab, und immer
wieder für kurze Momente unbeschwerter Stimmung.
»Keine Ahnung, das werden wir erfahren, wenn unser maximo lider da
ist«, lautete die sarkastische Antwort Volkers. Obwohl sie Pete Altmann, den
smarten 32-jährigen Halbamerikaner, trotz anfänglicher Probleme inzwischen alle
als einen der ihren akzeptierten, ging es ihnen dennoch ein wenig gegen den
Strich, dass Christian, der die Truppe damals gegründet hatte, sich aus der
Leitungsposition hatte verdrängen lassen und nun Pete seine Stelle einnahm.
Dabei war das keineswegs Petes Schuld, denn Christian musste seinen Posten
aufgeben, als nach dem Kindermörder-Fall vom letzten Jahr herausgekommen war,
dass sie â und zwar sie alle zusammen â in nicht unerheblichem Umfang Beweise
manipuliert hatten. Sie hatten die Gerechtigkeit über das Gesetz gestellt und
waren allesamt heute noch der Ãberzeugung, das einzig Richtige getan zu haben.
Dennoch war durch diese Vorkommnisse nicht nur die Existenz dieser ersten
bundesweiten Soko in Gefahr gewesen. Die leidige Angelegenheit wurde vor der
Ãffentlichkeit fein säuberlich vertuscht, denn sie hätte Dorfmanns Kopf
gekostet, die Karriere des Oberstaatsanwalts Waller beendet, und die Ausläufer
der Erschütterungen wären bis nach Wiesbaden ins BKA zu spüren gewesen.
Trotzdem musste zumindest intern ein Sündenbock her. Für diese Rolle war
Christian von Anfang an vorgesehen, falls bei dem Experiment des
länderübergreifenden Ermittlungsteams etwas schiefging. Und er nahm sie an.
Damit war die Sache offiziell erledigt und das Team gerettet. Zwar mussten sie
in ihrer Absteige im Schanzenviertel bleiben, obwohl man ihnen nach dem ersten
Ermittlungserfolg einen Umzug ins moderne Polizeipräsidium mit all seinen
Annehmlichkeiten wie Parkplätzen, Klimaanlage und Cola-Automat in Aussicht
gestellt hatte, und sie bekamen auch bis dato keinen einzigen interessanten
Fall mehr zugeteilt, ganz so als wolle man sie geistig ausbluten lassen.
Trotzdem war Pete, der vom BKA ursprünglich nur für den ersten Fall als
Profiler ausgeliehen worden war, nicht nach Wiesbaden zurückgegangen. Er hätte
es irgendwie als schäbig empfunden, wenn er weiterhin der eigenen
Bilderbuchkarriere nachgegangen wäre, während seine Hamburger Kollegen, die
inzwischen zu Freunden geworden waren, kaltgestellt wurden.
Das Schlimmste für das Team war jedoch, dass ihnen Christian
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