Eisfieber - Roman
mehreren weißen Ratten. Nellie schnupperte aufgeregt daran. Caroline sah in ihrer Beziehung zu Tieren eine Möglichkeit, den Umgang mit Menschen zu meiden. Viele Mädchen machten eine solche Phase durch, aber Miranda meinte, dass sie mit siebzehn eigentlich vorüber sein müsste.
Der fünfzehnjährige Craig schleppte zwei randvoll mit Geschenken gefüllte Plastikmüllsäcke heran. Er hatte das lausbübische Grinsen seines Vaters, war aber so groß wie Olga. Er setzte die Säcke ab, begrüßte die Anwesenden flüchtig und ging dann schnurstracks auf Sophie zu. Miranda fiel ein, dass die beiden sich auf Olgas Geburtstagsfeier kennen gelernt hatten. »Du hast dir ja deinen Bauchnabel piercen lassen!«, sagte Craig zu Sophie. »Cool! Hat es wehgetan?«
Jetzt erst bemerkte Miranda, dass sich auch eine fremde Person in der Küche aufhielt. Die Frau stand an der Tür zum Flur und hatte das Haus demnach durch den Haupteingang betreten. Sie war groß und eine ausgesprochene Schönheit: hohe Wangenknochen, gebogene Nase, üppiges rotblondes Haar und wunderbare grüne Augen. Sie trug einen braunen, ein wenig zerknitterten Kreidestreifenanzug, doch konnte auch ihr nahezu perfektes Make-up nicht ganz die Anzeichen von Müdigkeit unter ihren Augen verbergen. Amüsiert betrachtete sie die muntere Szene in der überfüllten Küche, und Miranda fragte sich, wie lange sie schon schweigend dastehen und zusehen mochte.
Auch die anderen entdeckten nun den neuen Gast, und allmählich wurde es still in der Küche. Schließlich drehte sich Stanley um, sagte »Oh, Toni!« und sprang von seinem Stuhl auf. Überrascht stellte Miranda fest, dass er sich über den Besuch sehr zu freuen schien. »Nett, dass Sie vorbeischauen! Kinder, das ist meine Mitarbeiterin Antonia Gallo.«
Die Frau strahlte, als könne es für sie nichts Schöneres geben als eine ständig zankende Großfamilie. Sie hatte ein breites, großzügiges Lächeln und volle Lippen. Das muss diese ehemalige Polizistin sein, die Kit damals überführt hat, dachte Miranda. Daddy scheint sie aber trotzdem zu mögen …
»Toni«, sagte Stanley, »darf ich Ihnen meine Familie vorstellen?« Miranda fiel der Stolz in seiner Stimme auf. »Meine Tochter Olga, ihr Mann Hugo und ihre Kinder – Caroline mit den zahmen Ratten und Craig, das ist der Lange hier. Meine Tochter Miranda, ihr Sohn Tom, ihr Verlobter Ned und Neds Tochter Sophie.« Toni sah allen Familienmitgliedern in die Augen, lächelte sie freundlich an und gab sich aufrichtig interessiert. Es war nicht leicht, sich acht neue Namen auf einmal zu merken, doch hatte Miranda das Gefühl, dass Toni damit keine Schwierigkeiten haben würde. »Der Herr, der gerade die Karotten schält, ist Luke, und die Dame am Herd ist Lori … Nein, Nellie, die Dame möchte nicht an deinem Büffelknochen knabbern, obwohl sie deine Großzügigkeit sehr zu schätzen weiß.«
»Es freut mich sehr, Sie kennen zu lernen«, sagte Toni, und es klang durchaus ehrlich. Allerdings war ihr anzumerken, dass sie unter starker nervlicher Anspannung stand.
»Sie haben sicher einen anstrengenden Tag hinter sich«, sagte Miranda. »Das Unglück mit diesem Laboranten tut mir sehr Leid.«
»Es war Toni, die ihn gefunden hat«, sagte Stanley.
»O Gott!«
Toni nickte. »Wir sind uns, dem Himmel sei Dank, ziemlich sicher, dass er sonst niemanden angesteckt hat. Jetzt müssen wir einfach hoffen, dass uns die Medien nicht kreuzigen.«
Stanley sah erneut auf seine Uhr. »Entschuldigt uns«, sagte er zu seiner Familie. »Wir sehen uns die Nachrichten in meinem Arbeitszimmer an.« Er hielt Toni die Tür auf und verließ mit ihr die Küche.
Die Kinder plapperten wieder los, und Hugo machte Ned gegenüber eine Bemerkung über die schottische Rugbymannschaft. Miranda wandte sich an Olga. Ihr Streit war vergessen. »Attraktive Frau«, sagte sie nachdenklich.
»Ja«, bestätigte Olga. »Ziemlich genau mein Alter, oder?«
»Siebenunddreißig, achtunddreißig, ja. Und Daddy hat abgenommen.«
»Das ist mir auch aufgefallen.«
»Eine gemeinsam gemeisterte Krise bringt die Menschen einander näher.«
»Geschieht das nicht gerade?«
»Also, was denkst du?«
»Das Gleiche wie du.«
Miranda trank ihren Wein aus. »Ja, das dachte ich mir.«
13.00 Uhr
Toni war hingerissen von der Szene, die sich ihr in der Küche bot: Erwachsene, Kinder, Personal und Haustiere, Wein trinkend, kochend, streitend, Witze erzählend, lachend. Ihr war, als wäre
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