Eisige Naehe
und einen Tempel.
Nach den Übungen duschte er, zog sich etwas Legeres an und telefonierte mit Maria, die wie immer erleichtert war, als fürchtete sie jedes Mal, wenn er auf Reisen war, ihm könnte unterwegs etwas zustoßen. Als er aufgelegt hatte, betrat er einen Raum, den selbst die gewieftesten Einbrecher niemals finden würden, nur sechs Quadratmeter groß und verborgen hinter einer langgezogenen, hohen Bücherwand, von der ein Teil sich durch das Eingeben eines sechsstelligen Codes per Fernbedienung öffnen ließ. Dort befand sich alles, was er für seine Aufträge benötigte, und hierhin würde er es wieder zurücklegen, nachdem seine Arbeit beendet war.
Er verweilte fast eine halbe Stunde in dem Geheimzimmer, wo er, wie in seinem Haus in Lissabon, sämtliche Aufträge sorgfältig archiviert hatte, zum einen in zwei Aktenordnern, zum anderen auf einem Rechner. Er wusste, sie würden eines Tages gefunden werden, doch das würde erst nach seinem Tod sein, der hoffentlich noch eine Weile auf sich warten ließ. Aber Hans Schmidt hatte keine Angst vor dem Tod, so wie er keine Angst vor dem Leben hatte.
Er hatte noch Zeit, die Feier würde auch ohne ihn beginnen. Er nahm die beiden Ordner aus dem Regal und blätterte in Erinnerungen. Schmidt hatte mehr Menschen ins Jenseits befördert als die meisten Serienkiller. Aber im Gegensatz zu den Bestien, die oft unter einem schweren psychischen Defekt litten, hatte er nie aus niederen Beweggründen getötet. Zu fast hundert Prozent handelte es sich um Personen, die gesellschaftlich hochangesehen gewesen waren, die Macht und Einfluss besessen und häufig selbst schon gemordet oder Morde in Auftrag gegeben hatten.
Als er nach vierzig Minuten die Ordner zurückstellte, empfand er Genugtuung. Er fühlte sich einmal mehr bestätigt, kein Mörder im eigentlichen Sinn zu sein, sondern lediglich das Spiel der Mächtigen mitzuspielen, ohne dass diese merkten, dass er zunehmend die Regeln bestimmte. Aber da war wieder dieses Bauchgefühl, das ihm sagte, dass das Blatt sich allmählich gegen ihn zu wenden begann und es an der Zeit war, sich eine neue Strategie einfallen zu lassen. Noch fühlte er sich sicher, würde als Hans Schmidt, der Name, unter dem er in diesem Haus lebte, zu dem Fest gehen, schließlich war die Einladung auf diesen Namen ausgestellt. Er steckte sie in die Innentasche seines Sakkos, lächelte und sprühte sich noch ein wenig Eau de Toilette auf den Hals.
SAMSTAG, 20.22 UHR
Um acht Minuten vor halb neun verließ er das Haus, nahm diesmal seinen Jaguar und fuhr zu dem ausgedehnten Gut des Grafen, wo das Fest stattfand. Er traf viele bekannte Gesichter, Hände wurden geschüttelt, es schien, als freuten sich die meisten, ihn zu sehen, doch wenn man genauer hinsah, wurde klar, dass es im Grunde kaum jemanden interessierte, ob er da war oder nicht. Auch er war nur wegen einer einzigen Person gekommen, die jedoch erst in zwei, drei Stunden eintreffen würde. Hans Schmidt blieb dreieinhalb Stunden, erging sich in unsäglichem Smalltalk, den er hasste, aber als Mittel zum Zweck perfekt beherrschte, denn er verstand es, sich jeder Situation anzupassen. Er trank nur ein Glas Wein zum Essen, danach hielt er sich ausschließlich an Wasser. Ein grellgeschminktes Vollweib von höchstens fünfundzwanzig Jahren, bei dessen überdimensioniertem Busen ein Chirurg kräftig nachgeholfen hatte, umgarnte ihn fast den ganzen Abend und ging ihm damit zunehmend auf die Nerven, was er sie einige Male recht deutlich spüren ließ. Sie ließ sich davon nicht beeindrucken, vermutlich, weil sie zu beschränkt war, um die Zeichen zu erkennen. Diese Art von Frauen kannte er zur Genüge. Nach zahllosen vergeblichen Versuchen ließ sie endlich enttäuscht von ihm ab und wandte sich wieder ihrem Begleiter zu, einem fettleibigen und mindestens dreißig Jahre älteren Mann mit einem feisten Gesicht, seine Körperfülle war mindestens so beeindruckend wie sein Konto. Schmidt kannte ihn seit Jahren, ein Baulöwe, der es durch zahlreiche dubiose Geschäfte und Bestechung zu einem beträchtlichen Vermögen gebracht hatte. Schmidts eigentliche Aufgabe bestand an diesem Abend darin, eine bestimmte Person nicht nur zu beobachten, sondern sich auch mit ihr zu unterhalten. Peter Bruhns traf erst gegen dreiundzwanzig Uhr ein, er kam direkt von einer Fernsehsendung, die er nicht nur produzierte, sondern deren unumstrittener Star er auch war. Bruhns war neunundvierzig Jahre alt und nur etwas über
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