Eisige Naehe
eins siebzig groß, wobei er nicht klein wirkte, denn er trug in der Öffentlichkeit stets Schuhe, die ihn mindestens fünf Zentimeter größer erscheinen ließen. Er hatte sehr kurz geschnittenes dunkelbraunes Haar und braune, bei genauerem Hinsehen stechende Augen, auch wenn er häufig lachte, vor allem über seine eigenen, oft zotigen Witze. Er war Musikproduzent und hatte schon zahlreiche Hits mit diversen Künstlern in den Charts gelandet, aber das genügte ihm nicht. Er hatte ein großes Ziel vor Augen: Er wollte unbedingt in der Liga der ganz Großen mitspielen, Frank Farian, Dieter Bohlen oder Jack White und anderen Superstars, allerdings war er noch ein Stück von deren Erfolg als Produzent entfernt. Und doch gab es in der Unterhaltungsindustrie Deutschlands der letzten Jahre kaum jemanden, der so sehr die Massen in seinen Bann zog. Es waren besonders die jungen Menschen, die ihn fast wie einen Gott verehrten und in ihm ein Vorbild sahen.
Schmidt kannte Bruhns seit vielen Jahren, sie waren sich schon bei diversen Veranstaltungen über den Weg gelaufen, hatten sich privat verabredet oder in einem seiner Restaurants, hatten viel miteinander gesprochen, meist belangloses Zeug, über die Yacht, das Meer, das Wetter, die Frauen. So belanglos und leer Bruhns in seinem Innern war, so gab er sich auch im privaten Rahmen. Nur nicht in der Öffentlichkeit, wo er es seit einiger Zeit meisterhaft verstand, sich selbst zu feiern und immer wieder zu betonen, dass er der erfolgreichste Komponist und Produzent aller Zeiten in Deutschland sei, was sich anhand der Verkaufszahlen jedoch leicht widerlegen ließ, doch noch zwei oder drei Jahre, und er würde vielleicht an der Spitze stehen.
Ein sich selbst maßlos überschätzender Selbstdarsteller, wie es nur wenige und doch zu viele auf der Welt gab. Unangenehm, obszön und unendlich langweilig, sobald man ihn etwas näher kannte. Aber Schmidt hatte Bruhns nie spüren lassen, was er wirklich über ihn dachte. Eine Viertelstunde nach Mitternacht, noch bevor die Gesellschaft sich aufzulösen begann, verabschiedete sich Schmidt, nicht ohne sich vorher mit der Zielperson Bruhns eine Weile freundschaftlich, doch auch geschäftlich unterhalten zu haben. Unauffällig brachte er einen winzigen Peilsender an Bruhns' weißem Porsche Cayenne an, setzte sich in seinen Wagen, fuhr gut hundert Meter vom Grundstück weg und wartete geduldig.
Bereits sieben Minuten später verließ Bruhns die Villa und fuhr mit seinem Porsche an Schmidt vorbei, auf dem Beifahrersitz eine bildhübsche junge Blonde, die nur wenige Minuten vor Bruhns auf der Party eingetroffen war. Bruhns hatte sich nicht mit ihr unterhalten, vermutlich, damit niemand merkte, dass er sich mit der jungen Dame später noch vergnügen wollte. Schmidt wusste viel über sie, achtzehn Jahre alt und ein durchtriebenes Biest. Und sie passte perfekt in Bruhns' Beuteschema. Je älter er wurde, desto jünger wurden seine Geliebten, alle klein bis mittelgroß, blond bis rotblond und vollbusig, nordischer oder slawischer Typ mit markanten Gesichtszügen - und vor allem sehr jung.
Wie schon bei Schumann und so vielen anderen, die Schmidts Weg gekreuzt hatten, suchte auch hier ein allmählich alternder Mann ständig nach Bestätigung, eine Suche, die nie ein Ende finden würde, gäbe es nicht Hans Schmidt. Die Frauen wurden nicht von Bruhns' Intelligenz oder seinem guten Aussehen angelockt, sondern kamen nur seines gesellschaftlichen Status und vor allem seines Geldes wegen. Viele, wenn nicht gar die meisten von ihnen, erhofften sich durch ihn eine Karriere im Musikbusiness, doch alles, was Bruhns wollte, war die Abwechslung im Bett.
Diese Affären interessierten Schmidt allerdings nicht im Geringsten. Während Bruhns in der Boulevardpresse, den Schmierblättern und Talkshows herumgereicht wurde, wusste Schmidt von seinen wahren Schattenseiten, wobei der Begriff »Schattenseiten« zu kurz griff. Vielmehr taten sich Abgründe auf, in denen sich Bruhns seit Jahren bewegte. Aber darüber wurde nicht berichtet, weil nicht einmal die gewieftesten Pressevertreter davon wussten. Bruhns war für die Öffentlichkeit Oberfläche, sein aufgesetztes Lächeln, seine bisweilen scheinbar klugen Sprüche, die zur Schau gestellte Seriosität, mit der er seine Niedertracht überspielte (überhaupt war fast alles, was er sagte und tat, gespielt), die von ihm wohldosierten Schlagzeilen, mit denen er beinahe täglich die Medien bediente, die Selbstsicherheit,
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