Eisige Naehe
hat die Organisation bis ins Mark getroffen, für die gilt es jetzt, ganz schnell einen adäquaten Ersatz zu finden. Und Kleins Mörder muss eliminiert werden. Ich glaube jedoch, die werden ihn nicht kriegen.« »Was macht Sie da so sicher?«, fragte Henning. »Weil es sich meines Erachtens um das sogenannte Phantom handelt. Mir ist nur sein Motiv ein Rätsel. Was hat ihn dazu gebracht, Bruhns und Klein umzubringen? Er hat nie einen entsprechenden Auftrag erhalten, und doch bin ich mir zu hundert Prozent sicher, dass er die Morde begangen hat. Aber wie gesagt, das Motiv, ich steige nicht hinter sein Motiv. Irgendetwas muss ihn umgedreht haben, oder er hat die wahren Strukturen begriffen und nimmt sich jetzt jene vor, von denen er sich vielleicht hintergangen fühlt ... Nein, vergessen Sie das wieder, es gibt nach meinem Dafürhalten nichts, was ihn und seine Opfer verbindet.«
»Fragen Sie doch Frau Schumann«, bemerkte Henning sarkastisch. »Sie hat bestimmt eine Antwort darauf.« »Möglich, ich habe aber leider keinen Kontakt mehr zu ihr.«
»Wie schade. Soll ich Ihnen ihre Adresse geben?« »Nein danke, die habe ich selbst. Eine Frage noch zum Abschluss. Wann waren Sie das letzte Mal auf einem Rock- oder Popkonzert? Oder stehen Sie eher auf Klassik oder Schlager?« »Vor ein paar Monaten. Wieso?«
»Ich könnte Ihnen jetzt, ohne nachzudenken, zwanzig berühmte nationale und internationale Stars nennen, die sich für den Klimaschutz einsetzen, für die Rechte der Kinder kämpfen, Kindesmissbrauch anprangern und, und, und ... Diese Stars lassen sich nach ihren Auftritten Kinder bringen oder Zwangsprostituierte. Das ist die Verlogenheit und Heuchelei der Großen dieser Welt. Ich könnte Ihnen genauso gut zwanzig Politiker und Wirtschaftsbosse nennen, die nur einen hochkriegen, wenn sie Macht über ein Kind oder eine verängstigte Frau ausüben können. In der Öffentlichkeit spielen sie die Moralapostel und Unschuldslämmer, die nie etwas Unrechtes tun würden ... Glauben Sie mir, ich habe sie alle kennengelernt, und ich habe eins begriffen: Jeder, dem Macht über andere gegeben wurde, hat den Boden unter den Füßen verloren. Politiker, Finanzjongleure, sie alle aufzuzählen würde zu weit führen. Sie wissen gar nicht mehr, wie sich der Boden anfühlt, auf dem sie selbst einmal gegangen sind.« Santos hatte sich wieder gesetzt. »Herr Albertz, Sie haben uns jetzt sehr viele Informationen über Bruhns und Klein gegeben. Was können Sie uns über Kerstin Steinbauer sagen?«
Albertz wirkte mit einem Mal müde und ausgelaugt, als er nickte und antwortete: »Gut, dass Sie mich nach ihr fragen. Sie war seit etwa anderthalb Jahren für die Organisation tätig. Bruhns hat sie angeschleppt, eine sehr attraktive junge Dame, die sich jedoch alles andere als damenhaft verhalten hat, auch wenn sie über ausgezeichnete Umgangsformen verfügte. Aus dem Waisenhaus direkt in ein Luxusapartment, eine steile Karriere. Natürlich ging das nicht ohne Gegenleistung. Die bestand darin, Kinder und Jugendliche zu beschaffen. Sie hatte ein offenes, einnehmendes Wesen, sie sah blendend aus, und sie war nicht auf den Mund gefallen. Sie konnte sich blitzschnell jeder Situation anpassen. Sie hatte im Prinzip alle Eigenschaften, die jemand mitbringen musste, um für die Organisation von Nutzen zu sein.« »Sie kannten sie persönlich?«
»Ja. Kein Außenstehender hätte jemals vermutet, dass in diesem prachtvollen jungen Körper ein solch verdorbener Geist wohnen könnte. Sie wollte mit allen Mitteln nach oben, und sie hätte es beinahe geschafft. Sie hat eine Menge Minderjährige rekrutiert, wenn ich das so sagen darf, die meisten davon waren deutsche Kinder aus zerrütteten Familien, Kinder, die in sozialen Brennpunkten leben und so weiter ...«
»Wie hat sie die Kinder >rekrutiert«, wollte Santos wissen.
»Sie war ein wunderhübscher Teufel. Sie hat so getan, als würde sie sich um die Kinder kümmern, sie hat ihnen Versprechungen gemacht, sie gelockt wie die Hexe in >Hänsel und Gretel<, sie ist mit ihnen zu McDonald's gegangen, hat ihnen hier und da einen Euro zugesteckt, ihnen Geschenke gemacht, eben all das, was diese Kinder zu Hause nicht bekamen. Wie sollen diese armen Kreaturen wissen, dass sie manipuliert werden? Wie im Musikgeschäft hat Bruhns auch hier ein feines Naschen bewiesen. Er hat die Steinbauer kennengelernt, sofort ihre Qualitäten entdeckt und sie für die Organisation gewonnen. Sie wurde für ihre Dienste
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