Eisige Naehe
nehmt diesen Müll mit«, sagte er barsch, deutete auf die Pizzakartons und die Colaflaschen und machte kehrt. Er war unsäglich zornig.
Albertz fuhr früh nach Hause. Unterwegs kaufte er einen großen Strauß rote Rosen mit Schleierkraut. Er hatte Roberta in der letzten Zeit vernachlässigt, und er wollte nicht riskieren, dass sie sich über kurz oder lang einen Liebhaber zulegen würde, temperamentvoll, wie sie war. Andererseits hatte er dafür gesorgt, dass, wenn sie ihn betröge, dies bittere Konsequenzen für sie hätte. Schon oft, sehr oft sogar hatte er sie mit körperlichen Mitteln zur Räson bringen müssen, mittlerweile hatte sie wohl verstanden, dass sie ihm bedingungslos zu gehorchen hatte. Er hatte sie aus Brasilien in ein Leben voller Luxus geholt - und er verlangte Gegenleistungen. Wenn sie sich ihm nicht unterwarf, blieb ihm keine andere Wahl, als sie zu züchtigen. Er war kein Weichei, keiner von jenen, die zu Hause kuschten und im Beruf den harten Mann gaben. Er war immer hart und kompromisslos. Aber er war auch großzügig, solange jeder das tat, was er befahl. Als er in die Bismarckallee einbog, sah er ein ihm gut bekanntes Gesicht auf der anderen Straßenseite. Hans Schmidt. Er ging gemäßigten Schrittes den Bürgersteig entlang, den Kopf gesenkt, schien in Gedanken versunken. Ein Spaziergang im trüben und tristen Kiel, das hier in Düsternbrook noch am erträglichsten war. Es war, als bemerkte er Albertz gar nicht, bis dieser kurz hupte, das Fenster herunterließ und ihn ansprach. »Tag, Herr Schmidt«, sagte Albertz mit einem Lächeln, auch wenn er diesen unscheinbaren, etwas kleinkarierten Mann nicht ausstehen konnte. Sicher, er war ein wohlhabender Mann, hatte aber etwas von einem weltfremden Buchhalter, auch wenn ihm drei Restaurants gehörten, die sogar im Guide Michelin und Gault Millau aufgeführt waren. Obwohl Albertz in zwei dieser Restaurants schon gespeist hatte, hatte er Schmidt nie angetroffen. Es gab Geschäftsführer, Köche, doch der Besitzer hielt sich, wie auch bei feierlichen Anlässen und Empfängen, bei Festen und Partys, stets im Hintergrund. Schmidt wirkte stets eher verträumt als mit beiden Beinen auf dem Boden stehend, ein Eigenbrötler, der nur schwer zugänglich war. Eines jedoch beeindruckte Albertz - Schmidts unglaubliche Fähigkeit, alte Bücher auf deren Echtheit hin zu überprüfen. Das aber war das Einzige, was er an ihm bewunderte, den Mann selbst hätte er auf offener Straße nie wahrgenommen, ein Gesicht in der Menge, an dem man achtlos vorüberging. Hier, auf der fast menschenleeren Straße, war selbst dieser farblose Bücherwurm nicht zu übersehen.
Hans Schmidt hob erschrocken den Kopf und sah Albertz an. »Hallo. Verzeihung, ich war mit meinen Gedanken woanders. Wie geht es Ihnen?«, fragte er mit einem entschuldigenden Lächeln, wobei er lediglich die Mundwinkel etwas verzog. »Danke, gut. Und Ihnen?«
»Ich kann nicht klagen«, antwortete Schmidt leise, fast schüchtern.
»Aber wo ich Sie schon hier treffe, Sie haben am Samstag angedeutet, Sie hätten mal wieder etwas für mich, wollten mir aber nicht verraten, was. Vielleicht können wir uns demnächst mal sehen, natürlich ganz unverbindlich.« »Gerne.« Schmidt trat dicht an den Mercedes heran und flüsterte: »Ich wollte am Samstag nicht darüber reden, zu viele Ohren, wenn Sie verstehen. Ich habe einen Swift mit handschriftlichen Anmerkungen, garantiert echt, dafür verbürge ich mich. Ich dachte mir, das wäre was für Sie, da Sie mich ja schon mal vor drei oder vier Jahren auf eine Originalausgabe von Tue travels into several remote nations of the World by Lemuel Gulliver oder auf Deutsch Gullivers Reisen angesprochen haben. Jetzt habe ich eine von einem Klienten aus Edinburgh erhalten. Das Buch stammt aus dem Jahr 1726 und ist offenbar die erste gedruckte Ausgabe dieses Werkes. Swift hat auf vielen Seiten handschriftliche Korrekturen vorgenommen, die in den darauffolgenden Ausgaben übernommen wurden. Das Buch ist hervorragend ausgestattet, der Umschlag besteht aus feinstem grünem Leder und ist in einem Zustand, den man bei einem über zweihundertachtzig Jahre alten Buch niemals erwarten würde, was darauf schließen lässt, dass es die ganze Zeit über äußerst pfleglich behandelt wurde. Mein Klient sagte mir, dass es sich seit zweihundertfünfzig Jahren in Familienbesitz befindet und immer wie ein Schatz behandelt wurde. Man kann förmlich die Zeit riechen, in der es verfasst
Weitere Kostenlose Bücher