Eisige Naehe
brauchen Sie sich ja nicht mehr hier aufzuhalten. Sie haben ohnehin nicht mehr viel Zeit, um Ihre Sachen zu packen.«
Ohne ein Wort zu verlieren, ging Frau Hundt an Santos vorbei und die Treppe hinunter.
Na, hoffentlich hat sie's kapiert, dachte Santos und ging ebenfalls nach unten.
»Sie wird gehen und Sie in Ruhe lassen. Sollte sie trotzdem Schwierigkeiten machen, rufen Sie einfach an. Aber ich denke, ich habe ihr die Konsequenzen deutlich genug aufgezeigt, falls sie private Informationen an die Medien weitergibt. Bitte, verschließen Sie die Zimmertüren, soweit möglich, ich hatte das Gefühl, dass Frau Hundt eben geschnüffelt hat.«
»Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll. Diese Frau bringt mich noch um den Verstand. Seit ich hier eingezogen bin, hat sie mich behandelt wie ein kleines Kind oder wie eine seiner kleinen Nutten. Ich habe sie nicht ein einziges Mal lächeln oder gar lachen sehen. Ich hoffe, dieser Alptraum ist bald vorbei. Nach der Beerdigung meines Mannes werde ich definitiv weggehen, auch wenn ich noch nicht genau weiß, wohin.«
Henning blickte auf die Uhr und gab Santos ein Zeichen.
»Frau Bruhns, wir müssen los, wir haben einen wichtigen Termin in Mönkeberg. Falls irgendetwas ist, Sie wissen, wie Sie uns erreichen können. Einen schönen Tag noch.«
»Ihnen auch und nochmals danke für alles.«
»Sie brauchen uns nicht zu danken, wir tun nur unsere Pflicht. Tschüs.«
Victoria Bruhns begleitete die Beamten bis zur Tür und fragte dort: »Sollte nicht heute eine Hausdurchsuchung bei mir stattfinden?«
»Oh, das haben wir ganz vergessen. Das war unter anderem der Grund, weshalb wir hier sind. Nein, es wird keine Hausdurchsuchung geben, und wenn doch, werden wir Sie natürlich rechtzeitig informieren. Außerdem wollten wir Ihnen kurz mitteilen, dass Herr Weidrich letzte Nacht bei einem Schusswechsel getötet wurde. Er hat offenbar Ihren Mann ermordet.« »Weidrich? Wirklich? Kann ich mir irgendwie nicht vorstellen. Aber gut, Überraschungen gibt es immer wieder. Machen Sie's gut.«
»Eine Frage noch: Wissen Sie inzwischen, ob Ihr Mann ein Testament hinterlassen hat und wie Sie darin bedacht wurden?«
»Unser Anwalt hat mir mitgeteilt, dass es kein Testament gibt, lediglich ein notariell beglaubigtes Dokument mit dem, was ich Ihnen bereits erzählt habe. Er hat angedeutet, dass mir mindestens dreißig Prozent des Erbes zustünden. Er wird heute noch vorbeikommen und alles mit mir besprechen.«
»Dann viel Glück für die Zukunft. Aber ich denke, wir werden uns noch mal sehen.«
Victoria Bruhns schloss die Tür und begegnete im Flur Frau Hundt.
»Sie sind mich bald los. Und keine Angst, ich werde nichts über die kleinen und großen Schweinereien in diesem Haus ausplaudern, Frau Bruhns!« »Was haben Sie gegen mich? Habe ich Ihnen jemals etwas getan? Wenn ja, dann sagen Sie's mir doch geradeheraus.« »Sie verstehen die Welt nicht, Kleine. Erinnern Sie sich noch, wie ich Sie gewarnt habe, Ihren Mann zu heiraten? Sie waren angetrunken, aber ich habe Sie gewarnt, denn ich habe schon zu viele Frauen hier in ihr Unglück rennen sehen ...«
»Sie haben das nie gesagt, Sie haben mich von der ersten Sekunde an gehasst. Sie wissen nicht, was Sie da reden.«
»Ich glaube, ich bin die Einzige hier, die weiß, was sie redet. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen, ich muss packen, die Zeit drängt.«
Victoria Bruhns ging wieder ins Wohnzimmer und setzte sich zu Pauline auf den Boden. Das Mädchen lag auf dem Rücken und spielte mit einem kleinen Teddy. »Wir werden bald umziehen«, sagte Victoria Bruhns und streichelte ihrer Tochter über die Wangen. »Wir verschwinden aus diesem Höllenloch und gehen ganz weit weg. Ich hoffe, du wirst nie erfahren, wie dein Vater war.«
DIENSTAG, 12.45 UHR
Da ist das gelbe Haus mit dem blauen Dach«, sagte Henning und parkte auf der fast autofreien Straße. Das Haus war von einem großen Grundstück umgeben, ein mittelhoher weißer Holzzaun bot keinen wirklichen Schutz vor Einbrechern. Doch bei genauem Hinsehen entdeckte Henning Videokameras, Bewegungsmelder und Sensoren, die ein unbemerktes Eindringen fast unmöglich machten.
Auf dem Klingelschild stand nur Albertz, der Summer ertönte, ohne dass Henning den Klingelknopf berührt hatte. Sie gingen die etwa zwanzig Meter bis zum Eingang, wo sie von einem grauhaarigen, sehr schlanken Mann empfangen wurden, der Mitte fünfzig oder auch schon Anfang sechzig sein mochte. Er war
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