Eisige Naehe
auf. »Sie rauchen Gras?«, stieß Santos hervor, zog die Stirn in Falten und fragte sich, ob sie sich in einem schlechten Film befand.
»Entschuldigen Sie, das hat mir mein Arzt gegen die Schmerzen verordnet. Glauben Sie mir, es hilft. Ich hätte nie im Leben für möglich gehalten, jemals mit Rauschgift zu tun zu haben, aber in meiner Situation tut man alles, um wenigstens den Schmerz zu besiegen, wenn man schon den Krebs nicht besiegen kann. Ich hoffe, es stört Sie nicht ...«
»Nein, nein, überhaupt nicht, ich habe auch schon davon gehört, dass Marihuana in der Schmerztherapie eingesetzt wird.«
»Ja, in der Tat. Wo war ich stehengeblieben? Ah, richtig, bei Bruhns. Er war nicht nur ein äußerst erfolgreicher Musikproduzent, er war zugleich ein angesehenes Mitglied des organisierten Verbrechens. Wir wissen von mehreren Bereichen, in denen er die Finger im Spiel hatte, unter anderem Geldwäsche, Drogen, aber leider auch Kinder. Nachdem er begonnen hatte, seine Pädophilie auszuleben, und nach immer mehr Frischfleisch verlangte, stand er ständig unter unserer Beobachtung. Als wir dann auch noch den Hinweis erhielten, dass er für den Tod eines elf- oder zwölfjährigen Mädchens verantwortlich zeichnete, mussten Mittel ergriffen werden, um wenigstens andere Kinder vor ihm zu schützen ...« »Aber dieses Mädchen hat er vor einem Jahr umgebracht«, warf Henning ein. »Wieso wurde er nicht festgenommen und vor ein ordentliches Gericht gestellt?« Albertz ließ sich mit der Antwort Zeit. »Die Strukturen sind zu komplex, um sie Ihnen in der Kürze der Zeit zu erläutern. Nur so viel: Bruhns wurde zu einem Risikofaktor ...«
»Für wen? Das organisierte Verbrechen oder den Verfassungsschutz?«, fragte Santos mit zusammengekniffenen Augen.
Albertz rauchte seinen Joint zu Ende und entgegnete: »Frau Santos, ich sehe, Sie hören genau zu, das ist selten geworden in der heutigen Zeit, selbst bei der Polizei«, sagte er anerkennend. »Wenn ich Ihnen antworte sowohl als auch, genügt Ihnen das?«
»Vielleicht. Hat Bruhns noch mehr Kinder auf dem Gewissen?«
»Gegenfrage: Was glauben Sie?«
»Mein Gott, was für ein Abgrund ...«
»Ich möchte Ihnen da nicht widersprechen. Lassen Sie mich fortfahren. Nach meinen Informationen standen wir unmittelbar davor, Bruhns jemanden ins Haus zu schicken. Doch ein anderer kam uns zuvor, und wir wissen nicht, wer das ist. Es muss jemand sein, der Protektion von höchster Ebene genießt ...« »Von welcher Ebene sprechen Sie? Verfassungsschutz oder Politik?«, wollte Santos wissen. »Wo ist der Unterschied?«, entgegnete Albertz lächelnd. »Jedenfalls musste aufgrund dieser Protektion ein anderer den Kopf hinhalten. Dieser Weidrich eignete sich geradezu perfekt, um geköpft zu werden. Auch diese Sachen habe ich schon zigmal miterlebt.« »Aber es waren Leute aus unseren Reihen, die ihn umgebracht haben!«, echauffierte sich Santos. »Ja, es war die Art Drecksarbeit, die von kleinen, skrupellosen Typen erledigt wird. An die kommen Sie genauso wenig ran wie an unseren Auftragskiller. Sie haben auch nur auf Anweisung gehandelt, wobei ihr Vorgehen wesentlich transparenter ist als ... Lassen wir das, ich möchte noch etwas anderes ausführen. Ich gebe Ihnen zu bedenken, dass in unseren Gefängnissen nicht wenige Unschuldige schmoren, verurteilt wegen Mordes oder anderer schwerwiegender Delikte, obwohl sie nie einen Mord oder ein anderes Verbrechen begangen haben. Sie wissen so gut wie ich, dass man häufig einen Sündenbock oder auch ein Bauernopfer sucht und auch findet. Im Fall Bruhns war es eben dieser Weidrich gewesen. Weidrich hat keiner Fliege etwas zuleide getan, das wissen Sie, und das weiß ich. Aber Sie wissen auch, dass man die Öffentlichkeit mit Informationen füttern will beziehungsweise muss. Oder man will sie beruhigen. Nein, es hat mit Beruhigung nichts zu tun, eher etwas mit der Befriedigung der Sensationslust. Oder sehen Sie das anders?«
»Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen«, sagte Henning.
»Dann strengen Sie Ihren Kopf an, so wie ich es getan habe, als ich noch jünger und unerfahrener war. Ich gebe Ihnen drei Namen - Westermann, Kobert und Zeunig. Klingelt da was bei Ihnen?«
»Schwach. Warum ausgerechnet die drei?«, sagte Henning, doch Santos fiel ihm ins Wort: »Ich kenne die Fälle sehr gut. Die sitzen alle ein, wenn ich mich recht entsinne.«
»Ja und nein. Ich bin müde und habe keine Lust mehr, diesen verdammten und verlogenen Job noch
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