Eisige Schatten
nachzusehen, ob etwas repariert werden muss. Das muss es. Und da ist noch mehr …«
Sie winkte ab. »Rechnen Sie den Kostenvoranschlag aus und rufen Sie mich dann an. Aber dabei sollten Sie bedenken, Dale Newton, dass mein verstorbener Mann Ihnen das Geld geliehen hat, um diese Werkstatt vor fünfzehn Jahren zu eröffnen. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie das mit einberechnen. Ich erwarte Rücksichtnahme auf eine arme Witwe.«
»Ja, Ma’am.« Newton lächelte schwach. »Ich habe den Kostenvoranschlag in zwei Stunden fertig.«
»Machen Sie das.«
»Ich kann Ihnen einen Leihwagen geben, Mrs Jameson …«
»Nein. Ich hasse es, ein fremdes Auto zu fahren. Ich gehe über die Straße zu Shelby’s und rufe mir ein Taxi.«
»Ich habe ein Telefon, Mrs Jameson.«
»Das ist mir bewusst. Was Sie nicht haben, ist Kaffee. Guten Tag, Mr Newton.«
»Ma’am.« Newton blickte ihr nach, als sie wegging, ihr Rücken stocksteif, und er fragte sich, nicht zum ersten Mal, ob der alte Kenneth Jameson tatsächlich an einer Krankheit gestorben war – oder aus schierer Erschöpfung.
Ivy verließ Newtons Reparaturwerkstatt an der Ecke der Main Street und First, ging einen Block weit ins Zentrum der Stadt und überquerte dort die Straße zu Shelby’s Restaurant. Dieses Wahrzeichen von Ryan’s Bluff, das einst ein wunderschönes Beispiel für Art déco gewesen und zuletzt in den Sechzigern modernisiert worden war, hatte im Lauf der Jahre mehrere Renovierungen erlebt und war durch all die von den verschiedenen Besitzern hinterlassenen persönlichen Noten ziemlich abstoßend geworden. Es hatte immer noch eine Resopaltheke mit Drehhockern davor, und über die Leinentischdecken waren Schutzdecken aus klarem Kunststoff gebreitet.
Ivy kam regelmäßig hierher und übte genauso regelmäßig Kritik an dem ehemals sehr beliebten Lokal, das bessere Zeiten gesehen hatte, aber immer noch gutes, einfaches Essen und heißen Kaffee bis Mitternacht anbot, sieben Tage die Woche.
»Der Kaffee ist zu stark, Stuart«, teilte Ivy dem jungen Mann hinter der Theke mit.
»Ja, Mrs Jameson. Ich mache frischen.«
»Tun Sie das. Und geben Sie eine Prise Salz dazu gegen die Bitterkeit.«
»Ja, Ma’am.«
Als Cassie am späten Freitagnachmittag auf das zweite Klopfen hin die Haustür öffnete, stand zu ihrer Überraschung ein Fremder davor, ein junger Mann in einem dunklen Overall mit dem Namen Dan auf einer Brusttasche und SafeNet Security auf der anderen. Er hielt ein Klemmbrett in der Hand und sprach höflich.
»Miss Neill? Ich bin Dan Crowder von SafeNet Security. Mein Kollege und ich sind hier, um Ihre Alarmanlage einzubauen.«
Sie blickte an ihm vorbei zu einem weißen Van in ihrer Auffahrt mit dem Logo der Sicherheitsfirma auf der Seite. Daneben stand ein zweiter sauber rasierter und uniformierter junger Mann. »Meine Alarmanlage?«
»Ja, Ma’am. Richter Ryan schickt uns.«
Der verschwendete ja wirklich keine Zeit.
Dan lächelte beruhigend. »Richter Ryan sagte, Sie sollten ihn anrufen, falls Sie irgendwelche Zweifel hätten, Miss Neill.« Cassie rief Ben nicht an, sondern stattdessen die Sicherheitsfirma. Wie sie erwartet hatte, wurde Dans Geschichte bestätigt.
Cassie spielte mit dem Gedanken, Dan und seinen Kollegen wegzuschicken, ließ sie aber schließlich ein, damit sie ihre Arbeit tun konnten. Denn in einem hatte Ben recht gehabt. In einer kleinen Stadt war es nur eine Frage der Zeit, bevor die falsche Person entdeckte, wozu Cassie fähig war.
»Ben?«
Kurz davor, das Haus neben dem Gerichtsgebäude zu betreten, in dem sich sein Büro befand, blieb Ben stehen und wandte sich der auf ihn zukommenden Jill Kirkwood zu. Unwillkürlich fiel ihm Cassies Behauptung ein, Jill hätte ihre Trennung nicht akzeptiert, doch es gelang ihm trotzdem, zu lächeln und sie mit derselben zurückhaltenden Beiläufigkeit zu begrüßen, die er seit ihrer Trennung aufrechterhielt.
Seit er sich von ihr getrennt hatte.
»Hi, Jill. Was ist?«
»Gibt es irgendwelche Neuigkeiten darüber, wer Becky Smith umgebracht hat?«
Die Frage überraschte ihn kaum. In der kurzen Zeit, die er gebraucht hatte, um die zwei Blocks von dem Büro zurückzulegen, in dem er einen Termin gehabt hatte, war er bereits dreimal von besorgten Bürgern mit derselben Frage aufgehalten worden. Trotzdem sah es Jill nicht ähnlich, so sehr an Verbrechen interessiert zu sein, vor allem einem besonders grausigen.
»Nicht, dass ich wüsste«, teilte er ihr mit. »Matt und seine
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