Eisige Schatten
nicht.«
»Ich auch nicht.« Ben griff nach der Mappe, legte die Kopie des Zeitungsartikels hinein und stand auf. »Ich habe in einer Stunde einen Termin, daher sollte ich besser gehen.«
Cassie begleitete ihn zur Tür. »Ich nehme an, Sie werden dem Sheriff erzählen, was Sie herausgefunden haben. Über meine Mutter.«
»Nur wenn Sie es möchten. Aber ich finde, er sollte es wissen, Cassie.«
Sie öffnete die Tür. »Na gut. Erzählen Sie ihm, was Sie wollen.«
Ben zögerte. »Wissen Sie, da ist etwas, das Sie vermutlich noch nicht bedacht haben.«
»Ach ja? Und was?«
»Sie sind nicht mehr in L.A., geschützt durch die schiere Anzahl von Fremden um Sie herum. Das hier ist eine kleine Stadt, Cassie. Nicht so klein, dass jeder absolut jeden kennt, aber klein genug. Und die Leute reden. Ihre Besuche in Matts Büro und in meinem sind bemerkt worden und werden es auch weiterhin. Irgendwann werden sich Ihre Fähigkeiten herumsprechen. Selbst wenn es Ihnen also gelingt, den Mörder nicht zu alarmieren, wenn Sie in seinen Geist eindringen, besteht die Möglichkeit, dass er früher oder später erfährt, wer Sie sind. Und dann sind Sie nicht mehr die körperlose Stimme in seinem Kopf. Sie werden ein Mensch aus Fleisch und Blut sein, mit einer Adresse im Telefonbuch – und ohne Sicherheitsriegel an der Haustür.«
Nach kurzem Nachdenken erwiderte Cassie: »Ich werde es im Kopf behalten.«
»Und das ändert nichts?«
»Nein. Das ändert nichts.« Ich muss es tun. Ich muss.
Seine Hand hob sich leicht, wie um sie zu berühren, fiel aber herunter, als sie sich merklich verspannte.
»Bis später, Cassie.«
»Wiedersehen, Ben.«
Diesmal hatte er die Gewissheit, dass sie an der offenen Tür stehen blieb und ihm beim Wegfahren nachschaute.
Aber dadurch fühlte er sich nicht besser.
Er fühlte sich überhaupt nicht gut.
»Vielleicht ist sie wirklich übersinnlich.« Abby Montgomery stellte das Kissen schräg und setzte sich im Bett auf, wobei sie abwesend die Decke über ihre nackte Brust zog.
Matt Dunbar saß auf dem Bettrand und zog Socken und Schuhe an. »Ich glaube nicht an diesen Scheiß.«
»Woher wusste sie dann von uns?«
»Ein Schuss ins Blaue. Zum Teufel, vielleicht hat sie dich neulich hier reinschlüpfen sehen. Aber meine Gedanken hat sie nicht gelesen.«
Abby war die Dickköpfigkeit ihres Geliebten nicht neu. Für gewöhnlich amüsierte sie sich darüber, genau wie sie sein gelegentliches Machogehabe amüsierte, doch im Grunde wusste sie, dass er trotz beidem ein großzügiges Wesen und ein weiches Herz besaß, wie man so sagte. Doch heute wurde ihr mulmig bei der Erinnerung daran, wie starrköpfig er sein konnte.
»Matt, wenn sie dir helfen kann, Beckys Mörder zu finden …«
»Ich weiß nicht, ob sie das kann. Die Kollegen aus L.A. haben sie über den grünen Klee gelobt, aber als ich nachhakte, gab der Detective, mit dem ich sprach, schließlich zu, dass sie sie ein paarmal in die Irre geführt hat und dass diese Umwege verlustreich waren.«
»Das passiert doch bei den meisten konventionellen Ermittlungen auch, oder? Ich meine, ihr ermittelt doch immer in irgendwelche Richtungen, die sich am Ende als falsch erweisen.«
»Ja, schon. Aber es ist sehr viel einfacher zu erklären, warum man eine Spur verfolgte, wenn man auf etwas Handfestes hinweisen kann. Alles, was eine sogenannte Paragnostin dir erzählt, ist so substanziell wie Nebel und kann sich genauso schnell auflösen.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich kauf ihr das einfach nicht ab, Abby. Sie muss uns zusammen gesehen haben, und daher wusste sie es.«
»In der Öffentlichkeit? Wir schauen uns ja in der Öffentlichkeit nicht mal an. Und niemand hat mich gesehen, als ich hier zu dir hereinschlüpfte, Matt. Ich passe immer genau auf, das weißt du.«
Er warf ihr einen raschen Blick zu, hatte das leichte Zittern in ihrer Stimme vernommen. »Liebling, hat dir Gary wieder zugesetzt? Denn ich kann ganz schnell ein Unterlassungsurteil gegen ihn erwirken, wie du weißt.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, er ist in letzter Zeit nicht aufgetaucht. Außerdem möchte ich nichts tun, was ihn verärgert, zumindest bis die Scheidung durch ist.«
»Bis dahin dauert es nur noch einen Monat, Abby.« Matt lächelte. »Und ich freue mich schon darauf, mich endlich mit dir in der Öffentlichkeit zeigen zu können, sobald die Scheidung durch ist.«
Abby beugte sich vor und schlang ihm die Arme um den Hals. »Darauf freue ich mich auch schon.
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