Eisiges Blut
er hoffte, den schneeweißen Bauch eines Albatros zu erblicken, der ihnen Gesellschaft leistete, sah er keinen. Dies hier waren Aasfresser, wie er an dem grauen Gefieder und den krächzenden Rufen erkannte, und sie folgten dem Hundeschlitten, weil sie sich eine Mahlzeit erhofften.
Er hatte solche Vögel schon einmal gesehen, wie sie ihre Kreise über den heißen blauen Himmel der Krim zogen. Sergeant Hatch hatte ihm erklärt, dass sie aus dem fernen Afrika gekommen seien, angelockt von dem Festmahl, das die britische Armee für sie angerichtet hatte.
»Ein paar von denen«, fügte Hatch hinzu, »sind gewiss meinetwegen gekommen.«
Tagelang hatte Sinclair beobachtet, wie sich die Gesichtsfarbe des Sergeants vom wettergegerbten Braun in ein elendes Gelb verwandelte; sogar seine Augen hatten einen ungesunden gelben Schimmer. Es gab Zeiten, da schüttelte es ihn so heftig in seinem Sattel, dass Sinclair als Vorsichtsmaßnahme ein Seil um die Schultern des Mannes geschlungen und mit dem Sattelknopf verknüpft hatte. »Das ist Malaria«, hatte Hatch mit klappernden Zähnen erklärt. »Das geht wieder vorbei.«
Die Kufen des Schlittens nahmen eine leichte Anhöhe und landeten wieder auf dem Boden, anmutig wie eine Ballerina. Ein Gefährt wie dieses hatte Sinclair noch nie gesehen; er konnte noch nicht einmal sagen, aus welchem Material es gemacht war. Die Kutsche, in der Eleanor ruhte, war glatt und hart wie Stahl, aber leichter, viel leichter, wenn man bedachte, wie schnell die Hunde sie ziehen konnten.
Die Vögel begleiteten sie und schossen durch die Luft. Im Vergleich dazu waren die Aasvögel auf der Krim angenehmer gewesen. Träge waren sie in großen Kreisen in die Lüfte aufgestiegen oder hatten in den Wipfeln der vertrockneten Bäume gehockt, an denen die Kolonnen vorbeimarschierten. Die Flügel dicht an
ihre schmutzig braunen Leiber gezogen und wachsam mit den perlenartigen schwarzen Augen umherspähend, hatten sie auf den nächsten Soldaten gewartet, der, in der Hitze irre geworden und vor Durst vergehend, taumelnd aus der Formation ausbrach und am Wegesrand zusammenbrach. Sie mussten niemals lange warten. Sinclair, der auf dem ausgemergelten Ajax vorantrottete, konnte nur zusehen, wie die Infanteristen zuerst ihre Kopfbedeckungen fallen ließen, dann ihre Mäntel, ihre Musketen und die Munition, während sie sich verzweifelt bemühten, Schritt zu halten. Diejenigen, die an Cholera erkrankt waren, krümmten sich im Dreck und umklammerten ihre Bäuche. Sie bettelten um Wasser, um Morphin und manchmal einfach um eine Kugel, die ihrer Qual ein Ende bereitete. Sobald ihr Todeskampf vorüber war und sie endlich still lagen, breiteten die Aasfresser ihre stinkenden Schwingen aus und ließen sich neben ihnen auf dem Boden nieder. Nachdem sie ein- oder zweimal zögernd zugehackt hatten, um ganz sicherzugehen, machten sich die Vögel mit den gebogenen Schnäbeln und Krallen an die Arbeit.
Einmal konnte Sinclair sich nicht beherrschen und schoss einen von ihnen in Stücke, bis er in einer Wolke aus blutigen Federn fast verschwand. Doch sofort war Sergeant Hatch angaloppiert gekommen, schwer im Sattel schwankend, und hatte ihn gewarnt, das noch einmal zu machen.
»Sie verschwenden nur Ihre Munition und machen vielleicht noch den Feind auf uns aufmerksam.«
Sinclair hatte gelacht. Wie konnte der Feind nicht über ihre Schritte Bescheid wissen? Sie waren sechzigtausend Mann, und eine riesige Staubwolke zog über ihnen gen Himmel. Seit ihrer Ausschiffung krochen sie langsam über die kargen Ebenen und durch das Brombeergestrüpp der Krim. Am Ufer des Flusses Alma waren sie auf den Feind gestoßen, und die Infanterie hatte trotz des vernichtenden Feuers der Russen tapfer die Berge erklommen, ein paar Schanzen erobert und die Verteidiger davongejagt.
Doch die Kavallerie, unter ihnen das 17 . Lancer-Regiment, hatte keinen Finger gerührt. Innerhalb der gesamten Truppe kursierten die Worte des Oberkommandierenden Lord Raglan, laut dessen Befehl die Kavallerie wie »in einer Hutschachtel aufbewahrt werden« sollte. Behütet und geschützt, damit sie die Kanonen verteidigten und vielleicht eines Tages, wenn die Armee jemals so weit käme, bei der Eroberung der russischen Festung in Sewastopol halfen. Für Sinclair war der Feldzug bis dahin eine Kette von Demütigungen und Verzögerungen gewesen. Abends, wenn sie auf irgendeiner moskitoverseuchten Lichtung kampierten, musste er kaum ein Wort mit Rutherford und Le Maitre
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