Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
Vom Netzwerk:
Militärführung hatte entschieden, dass es sich für unverheiratete Frauen nicht schickte, in Übersee zu arbeiten und sich um die verwundeten Soldaten zu kümmern. Also erhielten alle achtunddreißig Frauen des Krankenschwesterkontingents, mit Ausnahme der Leiterin, unabhängig von ihrem tatsächlichen Familienstand, die Anrede »Mrs«. In aller Eile wurden für sie Uniformen geschneidert, die ihre Trägerinnen so unattraktiv wie möglich aussehen lassen sollten
und ihre Körperformen vollkommen verbargen. Die Kleider waren grau und formlos und hingen wie wollene Säcke herunter. Auch die Hauben waren alberne weiße Teile, die absichtlich keinen Gesichtszügen schmeichelten. Eine der Schwestern hatte, in Eleanors Hörweite, Miss Nightingale gesagt, dass sie mit allen Mühen und Entbehrungen der Arbeit fertigwürde, aber »es gibt Hauben, Ma’am, die passen zu dem einen Gesicht, und manche, die passen zum anderen, und wenn ich das mit den Hauben gewusst hätt’, Ma’am, dann wär’ ich nicht mitgekommen, so gern ich auch Krankensschwester in Skutari sein möcht’«.
    Die Krankenschwestern, die sich zu diesem Einsatz verpflichtet hatten, bildeten ein ungewöhnliches Grüppchen. Eleanor war sich des Misstrauens sehr wohl bewusst, das sie bei vielen Menschen in der Heimat hervorriefen. In einigen Teilen der britischen Öffentlichkeit und der Presse wurden sie als Heldinnen gepriesen, die sich aufmachten, um ihrer harten, aber ehrenwerten Arbeit unter den entsetzlichsten Umständen nachzugehen. Doch in anderen Blättern wurden sie als unzüchtige und opportunistische Glücksritterinnen hingestellt, als junge Frauen der Arbeiterklasse, die hofften, einen jungen verwundeten Offizier genau in dem Moment umgarnen zu können, in dem er dafür am empfänglichsten war. Zusätzlich zu den vierzehn Frauen, die Miss Nightingale aus öffentlichen Krankenhäusern rekrutiert hatte und zu denen auch Eleanor und Moira gehörten, hatte sie sechs Ordensschwestern vom St. John’s House und acht Damen von Miss Sellons anglikanischer Schwesternschaft ausgewählt. Hinzu kamen je fünf römisch-katholische Nonnen aus dem Waisenhaus von Norwood und von den Barmherzigen Schwestern in Bermondsey. Obwohl viele Soldaten selbst dem katholischen Glauben angehörten, schockierte die Vorstellung, dass die Nonnen auch jene verwundeten Männer pflegen sollten, die nicht zu ihrer Kirche gehörten, viele der Daheimgebliebenen. Was, wenn die Nonnen in der Verkleidung einer Krankenschwester die Gunst
der Stunde nutzten, um protestantische Männer heimlich für die finstere Kirche Roms zu gewinnen?
    Als sich die
Vectis
den Dardanellen näherte, beobachtete Eleanor, wie Miss Nightingale sich an der Reling festhielt und mit festem Blick auf das vorbeiziehende Land starrte. Ihr schwarzes Haar war sorgfältig zu einem strengen Mittelscheitel gekämmt, und ihr langes Gesicht, blasser als üblich, zeigte einen ganz gewohnten Ausdruck der Verzückung. Die Ozeanbrise trug einige von Miss Nightingales Worten herüber und Eleanor hörte, wie sie MrsBracebridge gegenüber »die sagenumwobenen Ebenen Trojas« pries, »auf denen Achilles kämpfte und Helena weinte«. Eleanor wusste, dass Miss Nightingale aus einer vornehmen Familie stammte und an den besten Schulen erzogen worden war, und sie beneidete sie darum. Eleanor war in der Hoffnung nach London gegangen, ihre Bildung verbessern zu können, doch die anstrengende und niemals enden wollende Arbeit in der Harley Street hatte ihr zu wenig Zeit gelassen und war zu schlecht bezahlt gewesen, um dieses Ziel weiter zu verfolgen.
    Sinclair hatte das für kurze Zeit geändert.
    Aber wie würde er reagieren, wenn er wüsste, dass sie unterwegs ins Kriegsgebiet war? Sie war sicher, dass er sie gewarnt hätte, es nicht zu tun. Doch der Gedanke, dass er sie eines Tages brauchen könnte, während sie tausend Meilen entfernt war, war einfach unerträglich gewesen. Gleich nachdem bekannt geworden war, dass Freiwillige für den Einsatz in den Lazaretten gesucht wurden, hatte Eleanor die Gelegenheit ergriffen, und Moira, deren Anhänglichkeit für Captain Rutherford wohl eher pragmatischer als leidenschaftlicher Natur war, hatte gesagt: »Gleich und gleich gesellt sich gern« und unbekümmert die Bewerbung unterschrieben.
    Was, fragte sie sich, mochte aus Moira geworden sein? Inzwischen war sie natürlich schon lange tot.
    Geschäftig betrat Sinclair erneut den Raum, die Arme voller
Gesangbücher. »Die werden ein schönes

Weitere Kostenlose Bücher