Eisiges Blut
Menschenmögliche getan hast. Du bist eine gute Ärztin.«
Charlotte sah aus, als ließe sie das Lob unberührt.
»Ich schicke dir Franklin, damit er dir mit dem Leichnam hilft.« Dann sah er Michael an.
»Komm in mein Büro. Wir müssen uns unterhalten.«
Murphy verschwand, doch Michael war unschlüssig, was er tun sollte. Er wollte Charlotte nicht mit dem Toten allein lassen, zumindest nicht, bis Franklin oder jemand anders auftauchte.
»Es ist schon in Ordnung«, sagte sie, als erriete sie den Grund seines Zögerns. »Wenn man in der Notaufnahme in Chinatown gearbeitet hat, ist man Tote gewöhnt.«
Michael stand auf und ließ die Kette aus Walrosszähnen in seine Tasche gleiten. Dann ging er zur Spüle, wo er sich die Hände schrubbte.
Franklin kam herein, und als Michael hinaus auf den Flur trat, rief Charlotte ihm nach: »Danke übrigens. Du würdest einen guten Krankenpfleger abgeben.«
In Murphys Büro stieß er auf Darryl, der sich die Hände an
einem Pappbecher Kaffee wärmte. Offensichtlich hatte Murphy ihn gerade über Danzigs Tod informiert. Der Chief saß auf seinem Schreibtischstuhl und sah vollkommen erschöpft aus. Michael lehnte sich gegen einen verbeulten Aktenschrank und eine Minute oder länger sagte keiner von ihnen ein Wort. Es war nicht nötig.
»Irgendwelche Ideen?«, fragte Murphy schließlich, und es wurde wieder still.
»Wenn du die Sache mit Danzig und dem Hund meinst«, antwortete Darryl endlich, »dann nein. Aber wenn du von den verschwundenen Leichen sprichst, dann denke ich, dass eine Sache ziemlich klar sein dürfte.«
»Und das wäre?«
»Irgendjemand ist vollkommen ausgerastet. Vielleicht ein Fall von Großem Auge.«
»Ich habe das überprüft«, erwiderte Murphy, »und bisher sind noch alle da – auch das Gespenst. Niemand scheint irgendwie verwirrt, zumindest nicht mehr als üblich, und niemand hat das Gelände verlassen.«
Darryl grübelte darüber nach und sagte dann: »Okay. Dann hat er, wer auch immer es war, die Leichen irgendwo versteckt und ist dann wieder zur Station zurückgelaufen. Draußen ist es kalt genug, dass die Leichen wieder fest einfrieren.«
»Und die Hunde?«
Daran hatte Darryl nicht gedacht, aber Michael wusste, dass die Hunde von allein zurückkommen würden, es sei denn, sie wurden daran gehindert.
»Können sie bei einem Sturm wie diesem draußen überleben?«, fragte Darryl, und Murphy schnaubte.
»Für die ist das wie ein Tag am Strand. Die kauern sich hin und schlafen einfach. Das Blöde ist nur, dass alle Spuren, die sie hinterlassen haben, längst verweht sind.«
Doch Michael hatte eine Ahnung, wo sie hingelaufen sein
könnten. »Stromviken«, sagte er. »Das ist doch ihre routinemäßige Übungsroute.«
»Könnte sein«, räumte Murphy ein und ließ sich die Sache durch den Kopf gehen. »Aber wenn sie jemand dorthin gebracht hat – vorausgesetzt, er hätte genug Zeit gehabt, was verdammt unwahrscheinlich ist –, wie ist derjenige dann allein, ohne die Tiere, zur Station zurückgekommen? Niemand, nicht einmal ich, könnte den Weg allein zu Fuß schaffen, schon gar nicht bei diesem Wetter. Bei dieser Suppe geht niemand irgendwohin.«
»Und wenn er ein Schneemobil benutzt hat?«, sagte Michael. »Hätte er es nicht hinten an den Schlitten binden können?«
Murphy machte ein zweifelndes Gesicht. »Ich denke schon. Aber dann hätten die Hunde das Schneemobil plus den Eisblock mit den Leichen ziehen müssen.«
»Der Eisblock ist inzwischen sehr viel kleiner geworden«, gab Darryl zu bedenken. »Er wäre in Kürze ganz auseinandergebrochen.«
Murphy schwieg einen Moment und machte dann unverdrossen weiter: »Wie auch immer. Aber dann hat er, wer auch immer es war, die Leichen und die Hunde irgendwo zurückgelassen, in der Walfangstation, der Krähenkolonie, einer Eishöhle oder wo auch immer, und ist anschließend mit dem Schneemobil hierher zurückgerast, ohne dass jemand ein Schneemobil vermisst hätte … «
»Und vermutlich hat auch niemand eines kommen und abfahren gehört«, warf Michael ein.
»Richtig«, sagte Murphy, und strich sich erneut müde über das ergraute Haar, »das kommt noch hinzu. Irgendwie passt das alles nicht zusammen.«
Michael sah das Problem nur zu deutlich. Er versuchte zum ersten Mal, die Teile des Puzzles zusammenzufügen, es war nicht verwunderlich, dass Murphy bereits erschöpft und vollkommen ratlos aussah.
Darryls Gesicht dagegen spiegelte nichts als reinen Ärger. Sein Labor war entweiht und
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