Eisiges Blut
Feuer geben«, sagte er, bückte sich vor dem Ofen und riss mehrere Bücher in Stücke. Mit den zerknüllten Seiten fütterte er das wachsende Feuer. Eleanor sagte nichts, obwohl der Frevel ihr Unbehagen noch verstärkte.
Als das Feuer loderte, schloss er die Klappe und verkündete, dass er noch ein paar weitere Dinge gesammelt hatte. Er ging zur Tür und zerrte einen Leinensack herein, den er draußen stehen gelassen hatte. Daraus zog er Kerzenstümpfe, Blechteller und Tassen, verbogene Löffel und Messer sowie eine gesprungene Karaffe hervor. »Morgen werde ich gründlichere Erkundigungen einziehen, aber fürs Erste haben wir alles, was wir brauchen.« Er hatte zu seiner militärischen Betriebsamkeit zurückgefunden, kundschaftete die Umgebung aus, sammelte Proviant und entwarf Strategien. Eleanor war erleichtert und hoffte, dass diese Stimmung anhalten möge. Doch sie hatte gelernt, dass sie jederzeit durch etwas weit Düstereres verdrängt werden konnte.
Am Tischbein lehnte der Sack mit dem Essen aus dem Zwinger. Sinclair griff danach und sagte: »Wollen wir uns etwas davon zum Dinner warm machen?« Aus seinem Mund klang es, als schlage er vor, sie mit einem Schokoladensoufflé zu verwöhnen. »Wir müssen essen«, sagte er, bevor er eine der schwarzen Weinflaschen auf den Tisch stellte und hinzufügte: »und trinken.«
30 . Kapitel 14 .Dezember
Die Krankenstation von Point Adélie hatte kein richtiges Leichenschauhaus, aber das war auch gar nicht nötig, denn der ganze antarktische Kontinent war ein einziger Gefrierschrank. Murphy beschloss, Danzigs Leichnam an der kältesten und geschütztesten Stelle aufzubewahren, dem Keller der Glaziologen, der sich drei Meter unter dem Eiskernlager befand. Nachdem die Leiche des Geologen im Jahr zuvor aus der Gletscherspalte geborgen worden war, hatte man sie ebenfalls dort untergebracht. Betty und Tina waren alles andere als begeistert, aber sie verstanden den Ernst der Lage und waren bereit, Zugeständnisse zu machen.
»Solange du die Leiche gut einpackst und abdichtest«, sagte Betty. »Wir können nicht riskieren, dass die Eiskernsammlung kontaminiert wird.«
»Und ich will nicht, dass sich der Blick des armen Kerls in meinen Hinterkopf bohrt«, fügte Tina hinzu. »Es ist auch so schon unheimlich genug da unten.«
Da musste Michael ihr zustimmen. Er hatte sich freiwillig bereit erklärt, Franklin beim Transport des Leichnams zu helfen, weil er das Gefühl hatte, es Danzig schuldig zu sein. Nachdem Charlotte ein paar Vorbereitungen getroffen hatte, legten sie die Leiche in einen durchsichtigen Plastiksack mit Reißverschluss und anschließend in einen zweiten Sack aus olivgrünem Segeltuch. Michael und Franklin benutzten eine Tragbahre, um ihn über den
unebenen Hof zum glaziologischen Labor zu transportieren. Der Wind blies so kräftig, dass die Trage zweimal umkippte, und jedes Mal, wenn Michael den Leichnam wieder anhob, spürte er einen kalten Schauer den Rücken entlanglaufen. Die Leiche begann bereits steif zu werden, entweder weil die Leichenstarre schon eingesetzt hatte oder wegen der niedrigen Temperaturen. Es kam Michael vor, als würde er eine menschliche Statue anheben.
Die Treppe, die in den Eiskeller führte, war in den Permafrostboden gehauen worden. Anstatt zu versuchen, die Trage hinunterzumanövrieren, fassten Franklin und Michael den Leichnam einfach an den Schultern und den Füßen und trugen ihn nach unten. Als sie eintraten, schaltete ein Bewegungsmelder eine einzige Weißlichtlampe ein und badete sie in gleißende Helligkeit. In einer Ecke des Kellers war eine Art Tisch aus Erde stehen gelassen worden, auf den Franklin mit einem Kopfnicken deutete. Michael packte Danzigs Kopf und Schultern fester. Sie holten Schwung, und mit einem dumpfen Aufprall landete der Leichnam auf dem Tisch. Auf der anderen Seite des Kellers ruhte ein zylindrischer Eiskern auf einem langen Labortisch, festgehalten von einem Schraubstock. Mehrere Bohrmaschinen, Bohrer und Sägen hingen an einem Wandregal. Selbst auf dem Kontinent der Kälte kam Michael dieser Ort kälter vor als alles andere – und noch furchteinflößender. Eine gefrorene Grabhöhle, der nur ein Mühlstein fehlte, den man vor den Eingang rollen konnte.
»Bloß schnell raus hier!«, sagte Franklin, und Michael meinte zu erkennen, dass er sich heimlich bekreuzigte.
Oben an der Treppe wartete Betty auf sie. Gegen den eiskalten Wind hatte sie die Arme um ihren Oberkörper geschlungen. »Ich hoffe,
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