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Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
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die halbe Welt vor sich herzuschieben schien.
    Lieutenant Healey versuchte, die
Constellation
so zu drehen, dass die Welle sie nicht mit voller Wucht traf. Doch es war zu spät und die Welle war mit ihren mindestens dreißig Metern Höhe viel zu gewaltig. Als die fließende Wand aus wütendem grauen Wasser, die mit jeder Sekunde noch höher und breiter wurde, auf den Eisbrecher zuraste, tauchte etwas anderes, etwas Weißes, nein, Schwarzes in ihrem Blickfeld auf. Dieses Etwas schien vollkommen außer Kontrolle geraten zu sein, war im unlösbaren Griff des Sturms gefangen und raste noch schneller als die Woge auf sie zu. Eine Sekunde später wurde das Fenster zertrümmert. Es hörte sich an wie ein Pistolenschuss, und Glassplitter schossen wie Nadeln in die kleine Kabine. Kathleen schrie auf, wurde vom Steuerrad fortgerissen und stieß gegen Michael, der versuchte sie festzuhalten, als sie zu Boden ging. Eiskaltes
Wasser prasselte auf sein Gesicht. Er schüttelte sich und sah einen noch lebenden schneeweißen Albatros mit blutigem Kopf auf dem Steuerrad liegen. Sein Körper war in der zerbrochenen Scheibe eingeklemmt, und die verdrehten Flügel hingen nutzlos an den Seiten herab. Die Welle raste immer noch auf das Boot zu, und der Vogel klapperte mit seinem zertrümmerten Schnabel, der flach wie die Nase eines Boxers war. Michael starrte direkt in seine schwarzen, starren Augen, während Kathleen sich auf dem Boden zusammenkauerte. Die blauen Lichter auf der überfluteten Konsole flackerten noch einmal auf und erloschen schließlich.
    Die Welle erreichte die
Constellation
, das Schiff ächzte, schlingerte von einer Seite zur anderen und richtete sich am Ende wieder auf.
    Ein letztes Mal öffnete der Albatros seinen zertrümmerten Schnabel und stieß ein schwaches Röcheln hervor. Dann, als Michael versuchte, Luft zu holen und Kathleen zu seinen Füßen vor Schmerzen aufstöhnte, erstarb das Licht in den Augen des Vogels wie eine verlöschende Kerze.

8 . Kapitel 20 .Juni 1854 , 23 : 00 Uhr
    Der Salon d’Aphrodite, von den Stammkunden schlicht Madame Eugenie’s genannt, lag am geschäftigen Ende der Strand, der alten Verbindung zwischen der City of London und der City of Westminster, aber ein wenig zurückgesetzt von der Straße. An der Wagenauffahrt hingen ein paar Laternen, und solange sie brannten, war der Salon geöffnet.
    Sinclair hatte noch nie erlebt, dass sie nicht leuchteten.
    Er stieg als Erster aus dem Hansom Cab, der kleinen, offenen Kutsche, gefolgt von Le Maitre und Rutherford, der den Kutscher entlohnte. Zum Glück war er reich, großzügig und, zumindest im Augenblick, betrunken, da er für ihre Ausgaben im Haus ebenfalls würde aufkommen müssen. Mme Eugenie ließ sich zwar bisweilen dazu überreden, einen Kredit zu gewähren, aber nur zu einem wucherischen Zinssatz, und niemand legte Wert darauf, wegen bestehender Schulden beim Salon d’Aphrodite vor den Richter gezerrt zu werden.
    Als die drei die Stufen erklommen, öffnete John-O, ein baumlanger Jamaikaner mit einem Paar goldener Schneidezähne, die Tür und trat beiseite. Er wusste, wer sie waren, freilich wurde er dafür bezahlt, das niemals zuzugeben.
    »Guten Abend«, sagte Rutherford mit reichlich belegter Stimme, »ist Madame zu Hause?«, als wollte er einer Bekannten aus der Gesellschaft seine Aufwartung machen.
    John-O deutete mit einem Kopfnicken auf den Salon, dessen Tür teilweise hinter einem roten Samtvorhang verborgen war. Sinclair hörte ein Pianoforte, und eine junge Frau sang dazu
An den schönen Ufern des Tweed
. Mit den anderen im Schlepptau ging er auf das Licht und die heitere Gesellschaft zu. Frenchie hob den Vorhang zu einer Seite, und Mme Eugenie blickte von ihrem Diwan auf, auf dem sie zwischen zwei ihrer Mädchen saß.
    »Bienvenue, mes amis!«,
rief sie und erhob sich eilig. Sie wirkte wie ein alter Vogel in einem hellen neuen Federkleid. Ihre Haut war wie Leder, doch das fein gearbeitete Kleid aus grünem Brokat war mit unzähligen Glitzersteinen verziert. Mit ausgestreckten Händen kam sie auf die Gäste zu, an jedem Finger glänzte ein protziger Ring. »Wie schön, dass Sie mich besuchen!«
    Le Maitre lachte laut auf, und Sinclair ließ sich dankbar auf eine weich gepolsterte Ottomane sinken. Er fühlte sich nicht sehr viel sicherer auf den Beinen als seine Kameraden.
    Das Zimmer war sehr geräumig. Früher einmal hatte es den Ausstellungssaal der Bibliographischen Gesellschaft beherbergt, doch da es zu wenige

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