Eisiges Blut
Bücherliebhaber gab, die für den Unterhalt des Hauses hätten aufkommen können, hatte Mme Eugenie sich darauf gestürzt und es zu einem Spottpreis erworben. Jetzt stand in den Bücherregalen allerlei Nippes; Büsten von Cupido und Seidenblumen in Chinoiserie-Vasen. Ein großes Gemälde, eine schlechte Kopie von
Leda und der Schwan
, hing über dem Kamin.
Die Studierzimmer und Arbeitsräume in den oberen Stockwerken waren für eine weit intimere Nutzung umgestaltet worden.
Gegenwärtig zählte Sinclair vielleicht ein halbes Dutzend
femmes galantes
, die in eng anliegenden oder freizügigen Kleidern im Salon herumschlenderten, sowie die gleiche Anzahl an Gästen, die sich auf den Sofas und Sesseln fläzten. Ein Diener fragte ihn, ob er etwas trinken wolle, und Sinclair sagte: »Gin. Und für meine beiden Freunde dasselbe.«
Rutherford sagte: »Bringen Sie mir lieber einen Whisky«, und warf Sinclair einen warnenden Blick zu, der besagte:
Wenn ich schon für all das hier zahlen muss, dann werde ich verdammt noch mal trinken, was ich will.
Sinclair wusste, dass er sich nur noch weiter in Schwierigkeiten brachte und tiefer verschuldete, aber manchmal, dachte er, führte der einzige Ausweg nach unten. Und bis dorthin war es noch ein ganzes Stück.
Er bemerkte, dass Frenchie bereits mit einer Dirne mit rabenschwarzem Haar und einem hauchdünnen gelben Kleid beschäftigt war.
»Sind Sie das etwa, Copley?«, fragte jemand, und Sinclair erriet, wem die Stimme gehörte. Es war Dalton-James Fitzroy, ein Narr reinsten Wassers. Die Ländereien seiner Familie grenzten an den Besitz der Sinclairs. »Mein Gott, was machen Sie denn hier?«
Sinclair wandte sich auf der Ottomane um und entdeckte Fitzroy mit gebeugtem Rücken auf dem Klavierhocker, neben sich die Sängerin. Als das Mädchen sich umdrehte, sah er, dass sie, obwohl hochgewachsen, nicht mehr als zwölf oder dreizehn Jahre alt sein konnte und das schlichte Antlitz eines Kindes vom Lande hatte.
»Ich dachte, Ihre Gläubiger hätten Sie schon längst aus der Stadt gejagt«, fuhr Fitzroy fort. Sein rundliches Gesicht glänzte vor Schweiß, und Sinclair wappnete sich, um nicht nach dem Köder zu schnappen.
»’n Abend«, sagte er einfach.
Aber Fitzroy wirkte fest entschlossen. »Wie wollen Sie denn den Apotheker bezahlen, wenn Sie sich heute Abend hier etwas einfangen?«
Dieses Mal blieb es ihm durch Mme Eugenies Eingreifen erspart, überhaupt antworten zu müssen. Die Hausherrin eilte herbei, um den guten Ruf ihres Etablissements zu verteidigen,
tänzelte zwischen ihnen umher und rief: »
Messieurs
, meine Damen sind blitzsauber! Dr.Evans untersucht sie
regulérement
. Jeden Monat! Und bei unseren Gästen«, erklärte sie und machte eine Handbewegung, die den ganzen Raum erfasste, »handelt es sich um die
crème de la societé
. Nur die vornehmsten Gentlemen sind hier willkommen, wie Sie selbst sehen können.« Sie drohte Fitzroy mit einem juwelenbesetzten Finger und sagte scherzhaft, aber nicht ohne Ernst: »Schande über Sie, Sir, vor diesen liebenswürdigen Damen so unhöflich zu sein.«
Fitzroy ließ die Schelte mit Humor über sich ergehen, machte eine ironische Verbeugung über den Klaviertasten und bat um Vergebung. »Vielleicht ist es das Beste, wenn ich mein Schwert wegstecke und das Feld räume«, sagte er. Sinclair fand das reichlich dick aufgetragen für einen Feigling wie Fitzroy, der immer viel Getöse machte, aber nur so lange, bis die Armee nach Rekruten rief.
Fitzroy stand auf, wobei seine Seidenweste an den Nähten spannte, umklammerte die Hand des Mädchens und ging unsicheren Schrittes auf die Haupttreppe zu.
»John-O«, rief Mme Eugenie, »bitte führe unseren Gast zur Suite de Dieux.«
Das Mädchen warf einen ängstlichen Blick zurück und sah von allen Menschen im Salon Sinclair an. Trotz des Rouge und der Schminke konnte er erkennen, wie jung und unerfahren sie war. Und er konnte sich eine letzte Bemerkung nicht verkneifen: »Warum nehmen Sie keine Frau?«, verhöhnte er Fitzroy.
Zwei der anderen Gentlemen im Raum lachten.
Fitzroy blieb schwankend stehen, drehte sich aber nicht um. »
Chacun à son goût
, Sinclair. Jeder nach seinem Geschmack. Das sollten Sie besser wissen als jeder andere.«
Als Fitzroy mit seinem widerstrebenden Opfer das Zimmer verlassen hatte, kam Mme Eugenie zu Sinclair und schnalzte mit der Zunge. »Warum so streitsüchtig heute Abend? Das ist doch
ganz gegen Ihre übliche Gewohnheit, Mylord.« Sinclair war
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