Eisiges Blut
Sie von Deck! Auf der Stelle!«
Selbst bei diesem brüllenden Sturm erkannte er die Stimme von Lieutenant Healey.
»Sofort! Und melden Sie sich beim Kapitän!«
Michael drehte sich um und stellte fest, dass die Tür aufgeschoben wurde. Kazinski, der über den Shorts nur eine Regenjacke trug, warf ihm einen gelben Rettungsring zu. »Nehmen Sie!«, schrie er. Michael stopfte die Kamera oben in seinen Parka, taumelte auf den Pfeiler zu und packte den Rettungsring mit der behandschuhten Hand. Seine andere Hand war inzwischen völlig taub.
Sobald Michael den Ring festhielt, holte Kazinski ihn ein wie einen Fisch und schob mit einem Knall den Riegel der Schiebetür vor. Er wischte sich das eiskalte Wasser aus dem Gesicht und schüttelte missbilligend den Kopf. »Bei allem Respekt, Sir, aber das war echt eine total schwachsinnige Aktion.«
Michael verstand, was er meinte.
»Der Kapitän ist oben auf der Brücke. Wenn ich Sie wäre, würde ich mich schon mal darauf vorbereiten, gleich in Stücke gerissen zu werden.«
In diesem Moment wünschte Michael sich nur, dass er endlich wieder Gefühl in seine Finger bekam. Er rieb die Hand mit schnellen Bewegungen an seiner Hose, aber der Stoff war so nass, dass es nicht viel brachte. Er öffnete seinen Parka ein Stück und schob die Hand unter seine Achselhöhle.
Kazinski deutete auf die Treppe, die zur Brücke hinaufführte, als seien sie auf dem Weg zum Galgen. Vielleicht, dachte Michael, waren sie das auch.
Langsam erklomm er die Stufen. Sobald er die hell erleuchtete Brücke betreten hatte, fuhr Captain Purcell in seinem Sessel herum und sagte: »Was zum Teufel haben Sie sich dabei gedacht,
da
raus zu gehen? Haben Sie den Verstand verloren?«
Michael zuckte die Achseln und zog den Reißverschluss seines Parkas vollständig auf. »War wahrscheinlich keine so gute Idee«, räumte er ein und wusste, wie dürftig das klang. »Aber ich dachte, ich könnte vielleicht ein paar gute Fotos für meinen Artikel bekommen.«
Die anderen beiden Offiziere, die vor den Navigationsgeräten standen, mussten sich ein Grinsen verkneifen.
»Ich habe schon einige ziemlich bescheuerte Aktionen mit den Wissenschaftlern erlebt, die ich hier durch die Gegend fahre«, sagte Purcell, »aber ich nehme an, die sind so intelligent, dass sie das Recht haben, ab und zu auch etwas Dummes zu machen. Aber bei Ihnen kann ich das ganz und gar nicht nachvollziehen. Sie sind kein Wissenschaftler, und Sie sind todsicher auch kein Seemann.«
Leutnant Gallos stand vor einem silbernen Rad, das auf eine freistehende Konsole montiert war. Jetzt sagte er: »Das Barometer fällt weiter, Sir.«
»Wie tief?«, bellte Purcell, wirbelte in seinem Sessel herum
und rückte das Headset gerade, das verrutscht war, als er Michael heruntergeputzt hatte.
»Neun achtundfünfzig, Sir.«
»Himmel, heute Nacht sind wir dran.« Mit raschem Blick überprüfte er die flimmernden Monitore und Skalen, das Sonar, das Radar und das GPS , die alle einen sich ständig ändernden, vielfarbigen Datenstrom erzeugten.
Hagel trommelte gegen die quadratischen Fenster, die nach Westen zeigten, und das Schiff schwankte, als hätte die Hand eines Riesen es geschlagen. Michael schnappte sich einen der ledernen Haltegriffe an der Decke und hielt sich daran fest. Er hatte schon Geschichten von Seeleuten gehört, die auf der Brücke von einer Seite zur anderen geschleudert worden waren und sich dabei alle Knochen gebrochen hatten. Er fragte sich, ob seine öffentliche Auspeitschung schon vorbei war oder ob er eine Fortsetzung zu erwarten hatte.
Trotz des Donnerns der schweren See, des peitschenden Regens und des heulenden Windes draußen kehrte im Inneren der Brücke rasch wieder eine Ruhe wie in einem Operationssaal ein. Die flachen weißen Lichtpaneele in der Decke warfen ein kaltes gleichförmiges Licht an die blauen Wände des Raumes, und jeder Offizier sprach mit leiser, bedächtiger Stimme, während er den Blick auf eine Reihe von Instrumenten vor sich gerichtet hatte.
»Backbordmotor volle Kraft zurück«, sagte der Kapitän, und Kapitänleutnant Ramsey, den Michael bereits ein paar Mal getroffen hatte, packte einen kurzen Hebel mit rotem Griff. Während er den Befehl des Kapitäns ausführte, wiederholte er dessen Worte.
Anschließend nickte er Michael, der immer noch herumstand wie ein Kind, das man ins Büro des Schuldirektors gezerrt hatte, unauffällig zu und sagte militärisch knapp zu Purcell: »Wenn MrWilde hier nicht länger
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