Eiskalt Ist Die Zaertlichkeit
leise, und sie blickte mit widerstreitenden Gefühlen zu dem Tier hinüber. »Er wird die Figur von deinem Nachttisch geworfen haben. Es ist alles in Ordnung, wirklich.«
Sie entspannte sich ein wenig. »Du hast Recht. Wie dumm von mir.«
Doch als sie versuchte aufzustehen, drückte Max sie zurück aufs Bett. »Warte. Ich möchte wissen, was es war, dass dich quasi in Trance versetzt hat.« Er presste sie zärtlich an sich. »Ich will die Wahrheit wissen, Caroline.«
Ihre Gesicht wurde weiß wie eine Wand. Dann lachte sie ein wenig hysterisch, und das jagte Max einen kalten Schauer über den Rücken. »Ich weiß nicht, ob ich mich noch an die Wahrheit erinnere«, sagte sie.
Max verschränkte die Arme vor der Brust. »Versuch’s.«
Sie blickte flüchtig zu ihm auf und leckte sich nervös über die Lippen. »Ich hatte früher mal eine ähnliche Figur. Vor sehr langer Zeit. Sie hat mir … viel bedeutet.«
»Woher hattest du sie?«
»Sie war ein Geschenk.«
»Jemand, der dir wichtig war, hat sie dir geschenkt?«
Sie nickte und schloss die Augen. »Eine junge Frau, die für kurze Zeit meine Freundin war.«
Max hatte den Verdacht, dass er ihr jede Einzelheit mühsam aus den Tiefen ihres Gedächtnisses entlocken musste. »Woher kanntest du sie?«
Sie schlug die Augen auf, und jetzt las er eine andere Art von Angst darin. Nicht in weiter Ferne und versunken. Diese bezog sich auf die Gegenwart. Max’ Magen krampfte sich zusammen, er hatte Angst zu fragen, warum sie sich immer noch fürchtete. Er hatte Angst, dass er die Antwort nicht würde wissen wollen.
Wieder leckte sie sich über ihre Lippen. »Ich, hm, ich habe dir mal erzählt, dass ich eine Rückenverletzung hatte.«
Max nickte. »Und du hast auch mal gesagt, dass du lange im Krankenhaus gewesen bist.« Seine Feststellung brachte ein wildes Flackern in ihre Augen. »Wie hast du dir diese Rückenverletzung zugezogen, Caroline?«
»Ich, hm, ich, äh … ich bin eine Treppe hinuntergestürzt.«
Das hatte sie ihm bereits erzählt. Und damals hatte er ihr geglaubt. Jetzt glaubte er ihr nicht mehr.
Sorge überkam ihn, niederdrückend und schrecklich. Irgendetwas entging ihm. Etwas Entscheidendes. Er schloss die Augen, ging in Gedanken jede gespeicherte Erinnerung durch, und dann fiel ihm wieder ein, wie sie zurückgezuckt war und er sie nicht hatte berühren dürfen, damals, als er sie beim Auspacken des Materialkartons in seinem Büro angetroffen hatte. Da hatte sie Angst vor ihm gehabt. Die Puzzleteile fügten sich zusammen.
Es hat nicht wehgetan.
Ihre geflüsterten Worte der letzten Nacht hallten in seinem Kopf wider. Er hatte sie gefragt, wer ihr wehgetan hatte. Er hatte an … seelische Verletzungen gedacht.
Sie nicht. Oh Gott. Sie nicht.
Nein.
Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Er musste schlucken, um die aufsteigende Übelkeit zu bekämpfen. Aber er hatte die Wahrheit wissen wollen.
Er öffnete die Augen und sah ihren Blick, immer noch voller Angst, auf sein Gesicht geheftet.
Und in ihren Augen sah er die Wahrheit, die kein Mann akzeptieren konnte.
Sie senkte den Blick und wandte sich ab.
»Wann?«, fragte er mit unterdrücktem Zorn in der Stimme.
»Wann ich die Treppe hinuntergefallen bin?«
Verärgert sprang Max auf.
Wütend.
»Gefallen bist du? Bist du auch gegen Türkanten gelaufen, Caroline?«
Beim Ton seiner Stimme und der darin enthaltenen Verurteilung verzog sie das Gesicht, und seine Wut machte schlagartig der Beschämung Platz, mit einer Wucht, die ihn beinahe umwarf. Er ließ sich zurück aufs Bett sinken und barg das Gesicht in den Händen. »Es … tut mir Leid. So habe ich das nicht gemeint.«
Sie legte ihm die Hand aufs Knie. »Ich weiß.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
Sie seufzte. »Es war vor langer Zeit, Max.«
»Vor wie langer Zeit?«
»Vor neun Jahren. Mehr oder weniger.«
Max fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Was ist passiert?«
»Er war wütend. Er hat mich gestoßen. Ich stürzte …« Sie unterbrach sich. »Ich landete am Fuß der Treppe.«
»Mit gebrochenem Rücken.«
»Ja.«
Er beugte sich vor und hob eine Scherbe der Keramikfigur auf. »Und das hier?«
Caroline seufzte erneut. »Im Krankenhaus habe ich eine wunderbare junge Frau kennen gelernt. Sie arbeitete dort während des Sommers als Freiwillige. Wir wurden Freundinnen. Ich hatte noch nie zuvor eine Freundin gehabt. In meinem ganzen Leben nicht«, erklärte sie versonnen. »Sie wusste
Weitere Kostenlose Bücher