Eiskalt Ist Die Zaertlichkeit
alles. Irgendwie wusste sie, was mir zugestoßen war.«
»Und?«
»Und … sie hat mir diese Figur geschenkt als … ich weiß nicht. Es sollte ein Symbol unserer Freundschaft sein. Für mich war sie viel, viel mehr. Am Tag, als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hat er sie … zerbrochen. Meine Skulptur.«
»Mit Absicht? Warum?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Sie symbolisierte Freundlichkeit. Er hasste alles, was mit Freundlichkeit zu tun hatte, jedenfalls in Bezug auf mich. Und als ich dann hierher kam, habe ich mir eine neue gekauft.« Sie hob die Scherbe auf, die zum Kopf des Mannes gehörte. »Den heiligen Josef. Den Schutzheiligen der sozialen Reformen.«
Er blickte in ihr Gesicht, das teilweise hinter ihrem langen Haar verborgen war, da sie den Kopf über die Scherbe in ihrer Hand geneigt hatte. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. War völlig verwirrt. »Deswegen willst du Jura studieren. Das ist deine eigene soziale Reform.«
»Ja.«
Minutenlang saßen sie schweigend da. Er war … wie betäubt. Konnte die Wirklichkeit dessen nicht fassen, was er aus ihrem Mund gehört hatte. Später würde der Zorn kommen. Später würde er gegen den Drang kämpfen, den Mistkerl zu suchen, der die Hand gegen sie erhoben hatte, um ihn mit seinen eigenen Händen umzubringen. Später würde er sie in den Arm nehmen, sie zärtlich wiegen und ihr sagen, dass alles wieder gut werden würde. Doch im Augenblick war er einfach nur wie betäubt.
»Wir müssen los, Max«, sagte sie ruhig. »Frank verlässt sich auf dich.«
Er sah sie fassungslos an. »Du erwartest, dass ich … nachdem … nach allem …« Er gab es auf und sah sie hilflos an.
Caroline hielt seinem Blick mit unbeirrbarer Herausforderung stand. »Ich tu’s auch. Jeden einzelnen Tag in meinem Leben.«
Max schluckte. Er senkte den Blick auf den Boden, auf das Häufchen von Kleidungsstücken. »Wofür sind die?«
»Ich wollte eine Tasche packen, damit ich heute Nacht bei dir bleiben kann.« Sie hielt inne und räusperte sich. »Soll ich sie wieder in den Schrank räumen?«
Max ließ den Kopf in den Nacken fallen und blickte zur Zimmerdecke empor. Die Kehle wurde ihm so eng, dass er befürchtete, nie wieder richtig durchatmen zu können. »Glaubst du«, fragte er mit gebrochener Stimme, was ihm völlig egal war, »dass es mich
stört?«
»Stört es dich?«
Er blinzelte, und die Zimmerdecke war wieder klar zu erkennen. »Natürlich stört es mich.« Er wandte sich ihr wieder zu. »Es stört mich, weil es dir angetan wurde. Es stört mich, weil ich dich liebe. Es ist mir nicht gleichgültig, Caroline. Du bist mir wichtig. Du bedeutest mir so viel.« Er sah, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten, und der Schmerz traf ihn wie ein Dolchstoß ins Herz, als er begriff, dass sie glaubte, er würde jetzt gehen. Er nahm ihr Gesicht zwischen seine zitternden Hände, schob die Finger in ihr Haar, wiegte ihren Kopf, wie er es getan hatte, als sie sich in der Nacht zuvor geliebt hatten. »Ich liebe dich.«
Sie schmiegte ihre Wange in seine Handfläche, ihr Körper fiel vor Erleichterung in sich zusammen. »Dann lass uns gehen. Eine Horde von starbesessenen Kids wartet auf dich, bereit, vor Begeisterung auf ihre Nike-Schuhe zu sabbern.« Sie stand auf und sammelte die verstreuten Kleidungsstücke vom Boden auf.
»Caroline?«
Sie hielt inne und drückte die Kleider an ihre Brust. »Ja?«
»Später, wenn Franks Training zu Ende ist, möchte ich mit dir zu mir nach Hause fahren und die ganze Geschichte hören.«
Sie nestelte an den Kleidern. »Warum?«
Max stand auf und legte ihr die Hände auf die Schultern. Er beugte sich über sie und küsste sie durch den Pullover auf den Hals. »Weil ich verstehen will.« Er hob ihr Kinn an und küsste sie sanft auf den Mund. »Weil du mir alles bedeutest.«
Chicago
Sonnabend, 17. März, 10:30 Uhr
»Kannst du nicht noch ein bisschen bleiben?«
Winters unterbrach sich beim Zuknöpfen seiner Manschetten und blickte auf den jungen Körper auf dem Bett herab. Mühsam zwang er ein gewinnendes Lächeln auf seine Lippen. »Tut mir Leid, Süße. Ich muss heute arbeiten. Ich komme schon zu spät zu einem Termin wegen eines verstopften Toilettenabflusses und zum Einbau eines Boilers.« In Wahrheit war er wütend auf sich selbst. Er hätte schon vor Stunden in Mary Graces Wohnung sein sollen. Noch nie im Leben hatte er verschlafen. Schuld daran war wahrscheinlich der Stress, der sich in den letzten Tagen in ihm
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