Eiskalt Ist Die Zaertlichkeit
Herzen gern ganze Arbeit leisten und zu Ende bringen, was du angefangen hast, mehr, als ich …« Er zuckte mit den Schultern, brachte die Worte nicht über die Lippen.
»Das hat er auch einmal gesagt«, bemerkte Caroline und rührte sich nicht vom Fleck. »Als er mich die Treppe hinuntergestoßen hat und mich dann im Krankenhaus besuchte. Damals sagte er, dass er beim nächsten Mal ganze Arbeit leisten würde.« Sie holte tief Luft und verzog vor Schmerzen das Gesicht. Dann blickte sie in Max’ finsteres Gesicht. »Danke, dass du mich aufgehalten hast. Mit dem Wissen, dass ich so bin wie er, hätte ich nicht leben können.«
Max wandte den Blick ab. Auf seiner Wange zuckte ein Muskel. »Du könntest niemals so sein wie er.«
Caroline hob eine zitternde Hand und strich besänftigend über seine Wange. »Ich weiß. Vom Verstand her weiß ich es. Aber es sind diese furchtbaren Gedanken des Herzens, die mitten in der Nacht die Oberhand gewinnen. Ich habe mich dafür gehasst, dass ich mich nicht gewehrt habe, obwohl ich eigentlich wusste, dass ich es gar nicht konnte. Dass er größer, stärker war als ich. Er hatte die Macht, hatte alle Trümpfe in der Hand gehalten. Es hat mich nie daran gehindert, mitten in der Nacht zu denken, dass ich mich hätte wehren müssen.«
Max schluckte. Caroline sah, wie er um Fassung rang. »Aber jetzt hast du dich gewehrt.«
Sie verzog die Lippen zu einem winzigen Lächeln, so weit es ihr ohne allzu große Schmerzen überhaupt möglich war. Doch nachdem es nun ausgestanden war, nachdem das Adrenalin in ihren Adern versickerte, drängte sich die Realität in ihr Bewusstsein zurück. Sie musste Max Stärke zeigen, damit er sie nicht für das verprügelte, erbarmungswürdige Wrack hielt, das sie dem Aussehen nach mit Sicherheit war. Doch so wichtig ihre Stärke für Max auch war, noch wichtiger war es, um ihrer selbst willen stark zu sein. Das war Teil des Genesungsprozesses. Zur Wiedererlangung ihrer Selbstachtung. Ihres Selbstbewusstseins.
Sie bedachte Robs bewusstlose Gestalt mit einem vielsagenden Blick und zog eine Grimasse. »Das habe ich, weiß Gott.« Es funktionierte, und Max lächelte ebenfalls. Ein erster Schritt auf dem Weg in Richtung Normalität, wenngleich das Lächeln nicht den gequälten Ausdruck aus seinen Augen vertrieb. Sie hob den Stock auf und reichte ihn Max.
Max fuhr zurück, als wäre der Stock eine lebendige Schlange. »Den will ich nicht mehr. Ich besorge mir einen neuen.«
Caroline betrachtete den Stock eingehend. Dann warf sie ihn auf den Teppich, sodass er neben Robs reglosem Körper liegen blieb. Mit einer theatralischen Geste sagte sie: »Betrachte das als unsere Scheidung.«
Max schnaubte verdutzt, und Caroline wandte sich ihm zu. Sie versuchte, ihm mit dem am wenigsten geschwollenen Auge zuzuzwinkern. »Das wollte ich schon immer mal sagen.«
Max schüttelte den Kopf. »Gehen wir, Caro.« Gemeinsam verließen sie das Zimmer. David stützte Max, damit er ohne Stock auf seinen eigenen Füßen nach draußen gehen konnte, Tom stützte seine Mutter.
Caroline blieb vor Lieutenant Ross stehen. »Ich bin Caroline Stewart.«
Ross musterte eindringlich Carolines Gesicht. »Tatsächlich, das sind Sie.« Sie sagte es mit abschließender Endgültigkeit.
Caroline blickte über die Schulter zurück auf Winters, der in einer Lache seines eigenen Blutes lag. »Er ist bewusstlos. Das habe ich getan. Ich bin gern bereit, eine Aussage zu machen, wann immer Sie wollen.«
Ross neigte den Kopf und musterte sie noch immer. »Ich bin gespannt auf die ganze Geschichte, Ms Stewart, aber zunächst einmal werden wir Sie in ein Krankenhaus bringen.«
Asheville
Montag, 19. März, 17:00 Uhr
S ie hatten Glück.« Der Tonfall der Krankenschwester war barsch, doch ihre Hände waren sanft, als sie die Verletzungen in Carolines Gesicht behandelte. »Sie beide haben überlebt.«
Caroline blickte zu Max hinüber. Er presste die Lippen zusammen, sein Gesicht war bleich unter den Bartstoppeln. Er ertrug es nicht, sie leiden zu sehen. Aber die Schwester hatte Recht. Sie hatten Glück, am Leben zu sein. Andere hatten nicht so viel Glück gehabt. Behutsam hatte Max ihr von den Menschen berichtet, die Rob auf der Suche nach ihr umgebracht hatte, einschließlich Sy Adelman.
Sie war noch immer wie betäubt. Der liebe alte Mr Adelman. Den halben Weg von Chicago bis Asheville hatte seine Leiche mit ihr im selben Auto gelegen, und sie hatte es nicht gewusst. Sie schauderte, keineswegs
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