Eiskalt Ist Die Zaertlichkeit
Kreditkarten.«
Sie hatte keine Kreditkarten besessen. Das hatte er ihr nie gestattet. Mehr als zwanzig Dollar auf einmal hatte er Mary Grace nicht anvertrauen können, geschweige denn eine Kreditkarte. Ihre Brieftasche war also noch da, wenn auch leer. Sie war beraubt worden. Ihm drehte sich der Magen um. Wegen zwanzig Dollar war sein Junge getötet worden.
»Was noch?«
»Ihre Gehhilfe auf dem Rücksitz. Überbrückungskabel im Kofferraum.« Er unterbrach sich, hob wieder die Schultern. »Eine Skulptur auf dem Boden, an der Fahrerseite.«
Winters sog scharf den Atem ein; seine Nackenhaare sträubten sich. »Was?« Die Werkstatt mit ihrem diversen Zubehör verschwamm im Hintergrund, während er den alten Mann, der starrsinnig schwieg, mit Blicken durchbohrte. Winters trat noch einen Schritt vor und hielt die Hände tief in den Taschen vergraben, denn der Drang, Vandalia zu erwürgen, war beinahe unwiderstehlich. »Was sagen Sie da?«
»Eine Skulptur.« Vandalia behielt ihn achtsam im Auge. »Etwa zwanzig Zentimeter hoch. So eine billige Figur, wie man sie im Garten aufstellt. Solche Dinger hab ich für fünfzehn Dollar im Töpferladen gesehen. Ich bin nicht katholisch, kann Ihnen nicht genau sagen, wen sie darstellt. Vielleicht die Jungfrau Maria.«
»Wo ist sie?«, fragte Winters in bemüht ruhigem, unpersönlichem Ton. Er wollte den alten Mann nicht misstrauisch machen, aber diese Skulptur musste er sich unbedingt genauer ansehen. Er folgte der Richtung, in die Vandalia mit einem Ruck seiner Schulter deutete, als er sich einem Tisch neben dem Wagen zuwandte. Nicht fähig, seinen Augen zu trauen, kaum fähig, die mörderische Wut zu kontrollieren, die ihn anfiel wie eine wilde Bestie, näherte Winters sich dem Tisch.
Da war sie. Diese verdammte Skulptur.
Sie
hatte sie ihr geschenkt. Diese Scheiß-Schwesternhelferin, die es nicht lassen konnte, ihre Nase in die Angelegenheiten anderer Leute zu stecken. Die junge Göre, die ihn immer angesehen hatte, als wäre er Abschaum, eine Tümpelamöbe, die es nicht wert war zu leben. Die Mary Grace verzärtelt hatte, als wäre sie ein Opfer oder so was. Hah. Wenn Mary Grace jemals ein Opfer war, dann höchstens ein Opfer ihrer eigenen Dummheit und ihres Ungehorsams. Dafür war diese in Stein gemeißelte Skulptur höchstens der Beweis.
Fassungslos starrte Winters auf die rissige Oberfläche der Skulptur und erinnerte sich lebhaft an den Tag, als er das erbärmliche Weibsstück aus dem Krankenhaus geholt hatte. Die alte Oberschwester hatte behauptet, seine Frau müsse noch drei weitere Monate bleiben, vielleicht auch in irgendeine schicke Rehabilitationsklinik gebracht werden. Blödsinn. Mary Grace musste zu Hause sein. Drei Monate lang hatte sie in diesem Klinikbett gefaulenzt, während er ihre Aufgaben zu Hause übernehmen musste. Während er Robbie sauber und satt halten musste. Er war es leid gewesen, Essen von dem Chinamann unten an der Straße kommen zu lassen, hatte die Makkaroni mit Käse von Herzen satt, die Robbie jedes Mal auf den Tisch brachte, wenn er mit Kochen dran war. Er hatte es satt, seine Sachen zum Waschen in die Reinigung an der Ecke zu schleppen. Hatte es satt mit anzusehen, wie nachlässig Robbie ausfegte und die Betten machte. Satt, zuschauen zu müssen, wie sein Junge Weiberarbeit erledigen musste.
Sie war in der Lage gewesen, sich zu bewegen. Genug, um ihre Pflichten zu erledigen. Mary Grace hatte gefälligst nach Hause zu kommen, wohin sie gehörte.
Also hatte er seine Frau nach Hause geholt. Sie hatte diese Skulptur behalten wollen und tatsächlich geglaubt, er würde ihr gestatten, sie zu behalten, als Erinnerung an diese neugierige Schwester, die Ehen zerstörte und ihn behandelte wie ein Ungeheuer. Das hässliche katholische Götzenbild hatte so lange auf dem Nachttisch neben ihrem Krankenbett gestanden, dass es einen Abdruck in dem Staub zurückließ, den die schlampigen Schwestern nie abgewischt hatten. Das Krankenhaus war sowieso ein Schweinestall gewesen.
Kaum hatte sie sich mit ihrer Gehhilfe durch die Haustür geschleppt, riss er Robbie ihre Tasche aus der Hand und hielt ihr die Skulptur vor die Nase. Er befahl ihr, alles zu vergessen, was sie im Krankenhaus gehört hatte. Sie war zu Hause. In seinem Haus, wo er die Befehlsgewalt hatte. Wo er, nicht etwa irgendein scheinheiliger Arzt oder eine mildtätige Schwester, die Entscheidungen traf. Er hatte zwar ein bisschen Widerstand erwartet, doch sie hatte ihn überrascht, als ihre
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