Eiskalt Ist Die Zaertlichkeit
Augen vor Hass sprühten, so lebhaft und unerwartet, dass er im ersten Moment verdutzt war. Doch mit einem Schlag hatte er ihr die Aufmüpfigkeit aus dem Gesicht gewischt, und als sie sich schließlich wieder aufgerappelt hatte, lag die Skulptur längst in Scherben auf dem Küchenboden. Er hatte Robbie befohlen, den Boden aufzufegen, und Robbie hatte gehorsam die Scherben aufgesammelt und in den Küchenabfall geworfen. Und das war es dann gewesen. Er hatte das scheußliche Ding nie wieder ansehen müssen.
Bis heute. Die Risse in der Keramik waren breit, die Kanten angeschlagen. Die Skulptur war wieder zusammengesetzt und geklebt worden. Er kniff die Augen zusammen. Sie hatte sie
behalten
. Mary Grace hatte sie gegen seinen strengen Befehl heimlich behalten. Und jetzt lag sie da, neben Robbies Rucksack und den anderen Dingen, die Russell Vandalia in dem Wagen gefunden hatte.
Er verspürte eine Woge kalter, reinigender Wut. Das konnte nur eines bedeuten. Sie und Robbie waren nicht entführt worden, wie er all die Jahre hindurch befürchtet hatte. Das hinterhältige, intrigante, verlogene Miststück. Sie hatte es
geplant
. Mary Grace war aus eigenem Antrieb weggelaufen. Hatte ihm absichtlich seinen Jungen weggenommen. Doch wie war der Wagen dann im Lake Douglas gelandet? Warum hatte sie die Skulptur und ihre Handtasche nicht mitgenommen? Wo war sie? Wovon hatte sie gelebt? Seinen Sohn ernährt? Sie war ein Krüppel, ein Schwächling. Sie war keiner nennenswerten körperlichen Anstrengung gewachsen. Sie würde niemals in der Lage sein, einen Job, und sei er noch so simpel, zu behalten. Und ganz sicher war sie nicht klug genug, um etwas Besseres als eine Putzstelle zu finden.
Sie würde Unterstützung brauchen. Staatliche Unterstützung.
Sozialhilfe
. Der Gedanke, dass sein Sohn Sozialhilfeempfänger sein könnte, verursachte ihm Übelkeit. Aber sie konnte nur zum Sozialamt gegangen sein, sonst hätten sie verhungern müssen. Um Sozialhilfe zu bekommen, hätte sie allerdings ihren Ausweis, ihre Versicherungskarte oder wenigstens ihren Führerschein benötigt. Irgendein Papier, mit dem sie sich ausweisen konnte. Warum hatte sie dann ihre Papiere im Auto zurückgelassen? Es sei denn …
Ein Gedankenblitz schoss ihm durch den Kopf.
Unglaublich.
Unmöglich.
Es sei denn, sie hatte ihr Verschwinden geplant. Hatte geplant, eine andere Identität anzunehmen.
Der Gedanke raubte ihm die Fassung und ließ ihn nicht mehr los. Mary Grace war zu dumm, um solch einen Plan auszuklügeln und in die Tat umzusetzen. Sie war noch nicht einmal kräftig genug, um einen Wäschekorb weiter als zwei Meter zu tragen. Allein hätte sie so etwas nie im Leben bewerkstelligen können. Also musste sie Hilfe gehabt haben. Das wäre die einzige Erklärung für ihr spurloses Verschwinden. Die Wut ebbte ab, als ein winziges Fünkchen aufglomm und zum Leben erwachte.
Hoffnung.
Falls Mary Grace tatsächlich weggelaufen war, hatte sie den Jungen mit sich genommen. Ohne den Jungen wäre sie niemals gegangen.
Sein Sohn war noch da. Irgendwo da draußen.
Er würde ihn finden. Und er würde ihn nach Hause holen.
Und dann möge Gott Mary Grace beistehen, denn wenn er, Rob Winters, mit ihr fertig war, konnte nur noch Gott ihr helfen.
Er würde sie finden. Wo auch immer,
wer
auch immer sie sein mochte. Und dann, verdammt noch mal, würde er zu Ende führen, was er schon vor Jahren hätte beenden sollen.
Chicago
Montag, 5. März, 18:00 Uhr
N a, wie war’s?«, fragte Dana.
Caroline warf ihr einen Blick über die Schulter zu, während sie ihren Mantel an die Garderobe hängte. Dana lag ausgestreckt auf der Karikatur eines Sofas, das Caroline eines Tages unbedingt gegen ein besseres austauschen wollte. Tom lungerte zu ihren Füßen auf dem Teppich herum und teilte sich eine rasch leer werdende Schüssel Popcorn mit Dana.
Wie war’s? Bis halb drei war alles … himmlisch gewesen. Und um halb drei, nachdem Monika Shaw Max Hunter zu Gesicht bekommen hatte? Nun, danach war alles blitzschnell den Bach runtergegangen.
Sie war gekränkt. Tief gedemütigt. Und sie wollte nicht darüber reden.
»Du bist immer noch hier?« Caroline kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Bist du krank? Hast du dir die Streptokokken von dem kleinen Jungen eingefangen?«
»Nein, Mami. Ich bin nicht krank. Siehst du?« Dana streckte die Zunge heraus. »Aaaah.«
Caroline verdrehte die Augen zur Zimmerdecke. »Zum Kotzen, Dana. Schluck nächstes Mal bitte erst das Popcorn
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