Eiskalt wie die Nacht: Thriller (Dicte Svendsen ermittelt) (German Edition)
die sich ja beschäftigen.«
Peter trat auf der Stelle, um sich warm zu halten.
»Die Kälte besänftigt sie, die werden wie Lämmer. Aber sobald der Frühling kommt, haben die nur noch Quatsch im Kopf.« Er zeigte hinters Haus. »Dann sind die nur draußen, wenn sie dürfen, sind unten am See, klauen sich ein Ruderboot und fahren raus.«
»Aber die können doch nicht abhauen?«
»Nee. Die werden immer wieder eingesammelt.«
Der Mann schaufelte weiter.
»Was machen die denn da unten am See?«
»Tun so, als ob sie draußen wären, in Freiheit«, er grinste. »Dann ritzen sie ihre Namen in die Baumstämme.«
»Wie lange sind Sie denn schon hier?«, fragte Peter.
»Viel zu lange.«
»Waren Sie schon Anfang der Neunziger hier?«
Er bekam keine Antwort, hörte nur das kratzende Geräusch der Schaufel auf dem Kies.
»Ich bin auf der Suche nach einem Typen, Kenneth Krøll. Er war hier Anfang der Neunziger, 1992 oder so.«
Der Mann sah zu Peter hoch und kniff die Augen zusammen. Seine Lippen pressten sich aufeinander und er vertiefte sich wieder in seine Arbeit.
»Ich kenne niemanden«, sagte er leise. »Ich erinnere mich an niemanden.«
Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete sich die Eingangstür und ein Mann kam heraus. Er nickte ihnen freundlich zu, setzte sich in einen der Geländewagen und fuhr davon.
Peter klingelte und kurz darauf kam eine junge Frau um die dreißig und begrüßte ihn mit professioneller Freundlichkeit, die an Zurückweisung grenzte. Diesem Typus Mensch war er schon so häufig in den Behörden dieses Landes begegnet: Menschen, deren vorrangigste Aufgabe darin zu bestehen schien, dem Gegenüber zu erklären, warum etwas nicht möglich war. Er trug sein Anliegen vor.
»Wir geben grundsätzlich keine Auskünfte über Bewohner«, sagte sie und sah ihn abschätzig an. »Wofür benötigen Sie die Informationen?«
»Er ist ein ehemaliger Schulkamerad von mir«, log Peter. »Wir haben uns aus den Augen verloren.«
»Tja, das tut mir leid!«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust, die von einer Kunstpelzweste verdeckt war. Es gelang ihr, auf ihn herabzusehen, obwohl er wesentlich größer war als sie. »Mein Rat wäre, sich an seine Familie zu wenden.«
Wenn er seine Abneigung gegen Autoritäten vergessen haben sollte, so hatte sie es geschafft, in Sekundenschnelle seine Erinnerung aufzufrischen. Sein Leben war gezeichnet von Leuten wie sie, die ihn enttäuscht hatten: Sachverständige, Sozialarbeiter und andere, die immer alles besser wussten und ihre Mitmenschlichkeit gegen Paragraphen, übervolle Terminkalender, unzählige Sitzungsmarathons und stressbedingte Krankentage tauschten, während seine Anliegen verschleppt oder ganz vergessen wurden.
Ein einziger Blick in ihr Gesicht hatte ihm schon genügt. Er drehte wortlos um und ging. Er nickte dem Hausmeister zum Abschied zu und ließ die Frau wie ein verschmähtes Date im Eingang stehen.
Der Mann hatte erwähnt, dass die Jungs ihre Namen in die Baumstämme ritzten. Er konnte den See von der Straße aus sehen.
Grimme stammte ursprünglich aus Grenå, so viel war ihm bekannt. Die Familie war in den Achtzigern dorthingezogen. Aber wo hatte er vorher gelebt? Krøll war kein Allerweltsname, vielleicht hatte die Frau sogar recht, dass er versuchen sollte, die Familie zu kontaktieren.
Einer inneren Eingebung folgend, bog er ab und verließ die Hauptstraße. Der Weg war schwer befahrbar, zum Schluss sogar unpassierbar, also hielt Peter an und ging zu Fuß weiter. Den See säumten ein paar vereinzelte, aber exklusive Villen. Mit Blick auf den eigenen See, kleiner Steg mit Motor- oder Ruderboot. Ein idyllischer Ort. Aber leider der Jugendknast in unmittelbarer Nachbarschaft. Die Bewohner waren wahrscheinlich nicht begeistert darüber.
Er lief weiter. Wo würde es Jungs in dem Alter hinziehen? Was würden sie unternehmen, wenn es ihnen gelungen war, sich davonzustehlen?
Er ging in den Wald und fand, wonach er gesucht hatte: eine alte Eiche mit einem enormen Umfang und einer Rinde so dick wie Elefantenhaut. Er umrundete sie und las aufmerksam die Eintragungen. Den geschnitzten Jahreszahlen nach zu urteilen, war das Einritzen der Namen in Baumrinden, um unvergessen zu bleiben, nie aus der Mode gekommen.
Als er wieder im Auto saß, drehten sich die Gedanken in seinem Kopf. Da spürte er die Vibration seines Handys.
Es war eine Nachricht von Cato. Er hatte Ausgang bewilligt bekommen und wollte ihn am nächsten Tag in einer Pfadfinderhütte
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