Eiskalte Ekstase - ein Frankfurt-Thriller
neue … innerhalb der letzten zwei Minuten …«
Devcon legt den Kopf in den Nacken, die Augen geschlossen. »Bravo. Herzlichen Glückwunsch.«
»Eine der Kopien ist von der Laufzeit her aber deutlich kürzer. Komisch.« Grafert klickt. »Das darf doch … nein, das glaube ichjetzt nicht …« Es fehlen die einleitenden Worte, die Szene mit dem ersten Stromstoß sowie die Sequenz, in der die erste Wortkette verlesen wird. Die Filmkopie beginnt unmittelbar mit der Einstellung, in der das Mädchen den letzten Stromstoß erhält.
Devcon sinkt noch ein wenig tiefer in sich zusammen, die unendlich müde wirkenden dunklen Augen stoisch auf den Bildschirm gerichtet. »Für manche Leute ist der Thrill so scheinbar noch stärker.«
Grafert dreht sich zu ihm um. Überlegt, ob er sich über die Rückkehr eines Anflugs von Sarkasmus in Devcons Stimme freuen soll oder nicht.
»Das ist sie wirklich, die Pest.« Devcon wird wieder leise. Apathisch. Hoffnungslos. »Und das ist nur eines dieser Portale.«
»Nein, es ist das Portal. Nicht nur für Amateur-Videos …«
»So what.« Devcon winkt ab. »Das Ergebnis ist dasselbe. Eher bleibt der Stein von Sisyphos oben, als dass wir diesen Virus eliminieren können.«
Grafert stiert auf den Monitor. »Aber vielleicht wäre es hier sogar ratsam, mal die Presse ins Spiel zu bringen. Kochen wir den Fall hoch! Und entfalten damit wenigstens teilweise eine abschreckende Wirkung.«
»So? Wenn du meinst. Ist mir egal.«
Grafert wendet sich ruckartig zu Devcon um. Der schüttelt den Kopf, den glasigen Blick auf die Schreibtischkante gerichtet. »Die Presse also, ja? Und wozu? Ist sie denn noch unsere vierte Gewalt?« Er schüttelt den Kopf. »Da bin ich mir schon lange nicht mehr sicher. Die drucken, was Geld bringt, und werden diesem Wahnsinnigen eher noch eine Bühne bieten, statt dabei zu helfen, ihn zu stoppen. Außerdem gibt’s inzwischen mehr Nerds, als uns lieb sein kann. Die nehmen nichts mehr wahr, was nicht von ihrem Bildschirm kommt. Und die anderen, die Wanderer zwischen den Welten, die suchen sich ihre Informationshäppchen selbst. Basteln sich daraus ihre eigene Gedankenwelt, jeder für sich. Und jeder auf der Basis von anderen – nun ja, was auch immer für fragwürdigen Quellen.« Die Worte, sie plätschern aus Devcon heraus wie aus einem langsam versiegenden Brunnen. »So ist es in Zeiten, in denen es ein Machtvakuum gibt. Da entsteht immer erst eine Art Anarchie, weil auf einmal jeder machen kann, was er will. Mit Freiheit muss man nämlich umgehen können. Das haben die meisten Leute aber nie gelernt.« Er atmet tief ein, stützt den Kopf erneut in die Hand. »Und erst, wenn uns wieder sämtliche Brocken um die Ohren geflogen sind, dann wird’s schlagartig besser. Bis zum nächsten Crash. So war es, und so wird es immer sein. Gemäß dem alten chinesischen Sprichwort: Wünsche deinen Feinden, in interessanten Zeiten zu leben.« Er hebt den Kopf, die Hand, deutet auf den Monitor. »Und interessant ist es im Web 2.0. Zweifellos eine große Innovation. Und an sich eine harmlose Sache. Aber auch ein Machtvakuum. Und deshalb eben auch eine perfekte Spielwiese für todkranke Gemüter.« Er lässt die Hand zurück auf die Lehne seines Schreibtischsessels fallen. »Unser zynischer Herr mit der Maske weiß das ganz genau. Und hat es bis ins letzte Detail für seine Zwecke genutzt.« Devcon schaut auf, richtet seinen erschöpft wirkenden Blick direkt auf Grafert und sieht ihm in die Augen. »Und glaub mir, mein lieber Sascha, er wird es sich nicht nehmen lassen, uns das bis zur Vollendung vorzuführen.«
»Vollendung? Was denn für eine Vollendung?«
»Keine Ahnung. Ich weiß ja nicht mal, was im Moment in seinem kranken Schädel vorgeht.«
Grafert schaut auf den Bildschirm, die Fäuste in die Seiten gestemmt. »Das finden wir schon raus. Verschaffen wir uns Zugang zu den Computern des ermordeten Paares, um zu sehen, was für Kontakte sie hatten. Und noch was.« Er hält inne, wartet vergeblich auf eine Reaktion Devcons, der wieder in ein imaginäres Nichts starrt. »Die Leiche des Mädchens.Wenn wir die finden, haben wir sicher einen ersten konkreten Anhaltspunkt.«
»Ja.«
Über Graferts Nasenwurzel bildet sich eine steile Falte. Ja. Mehr nicht? Er dreht sich um. Kann nicht glauben, was er da gerade gehört hat. Oder besser: nicht gehört hat. Devcon hockt vor seinem Schreibtisch, scheinbar in dumpfes Brüten versunken. Grafert versucht einen lockeren,
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