Eiskalte Ekstase - ein Frankfurt-Thriller
es nur so weit kommen? Wer ist schuld? Und wer muss dafür sühnen? Ich weiß es nicht …« Das Bild der Maske wird undeutlich und verschwimmt.
»Das ist – nichts weniger als ein angekündigter Mord.« Devcons Stimme ist ebenfalls nur noch ein Flüstern.
»Glaube ich nicht.« Grafert wendet den Blick nicht ab von dem diffusen Bild auf dem Monitor. Er greift nach der Maus, lädt die Seite abermals neu. »Da, schon wieder knapp zwanzig Zuschauer mehr. Nein, so wahnsinnig ist doch kein Mensch, live einen Mord zu begehen vor so vielen Zeugen.«
Durch Devcons Körper geht ein Ruck, er presst das Telefon fest an sein Ohr. »Giebler! Die IP-Adresse! Uns läuft die Zeit davon, verflucht! Und lasst das verdammte Teil endlich aus dem Netz nehmen!«
Ein langsam heller werdendes Licht erscheint auf dem Monitor, geisterhaft in Szene gesetzt durch das Einspielen einer esoterisch klingenden Geigenmelodie. Die Melodie endet abrupt, als das Bild klar wird. Der Fokus der Kamera ruht nun auf dem hölzernen Stuhl, auf den ein gleißender Lichtstrahl gerichtet ist. Mit Lederriemen an die Armlehnen und die Stuhlbeine gefesselt: eine etwa sechzigjährige Frau. Ihr halblanges hennarotes Haar ist verfilzt, ihre Kleidung schmutzstarr. Gerötete, nur halb geöffnete Augen. Aus ihrem rechten Mundwinkel rinnt ein Speichelfaden.
»Obdachlos, würde ich mal sagen.« Grafert.
»Was haben Sie mit dieser bedauernswerten Person vor?« Uta von Neilens Stimme klingt barsch. »Und was ist das für eine groteske Installation, auf der sie da sitzt? Soll das etwa zu Ihrer merkwürdigen Ansprache passen? Hören Sie, mit Wissenschaft hat das alles hier wohl kaum etwas zu tun, es sieht mir doch eher nach der Konstruktion für einen billigen Splatterfilm aus. Für so etwas stehe ich nicht zur Verfügung.« Geräusche, die nach Anzugrascheln und einem umgeworfenen Stuhl klingen.
»Nehmen Sie wieder Platz und verhalten Sie sich still.« Die Roboterstimme, sie bellt aus den Lautsprechern wie die eines Majors auf dem Kasernenhof. »Ich habe Ihnen bereits erklärt, dass es zum Versuchsaufbau gehört, dass auch Sie als Beteiligte am Experiment erst am Schluss eingeweiht werden.«
»Das möchte ich gar nicht. Ich werde die Frau jetzt losbinden. Sehen Sie denn nicht, dass ihr Fußgelenk ganz verdreht ist? Sie braucht einen Arzt!«
Gespenstische Stille. Zerrissen von schepperndem Gelächter.
»Die Sache läuft aus dem Ruder.« Kartan beginnt an ihren Fingernägeln zu nagen, ohne es zu merken.
»Im Dschungelcamp wär’s auf jeden Fall sicherer für sie gewesen, das merkt sie wohl auch gerade«, murmelt Grafert. Mit einem von höchster Besorgnis gezeichneten Gesichtsausdruck.
»Giebler, bitte.« Devcons Stimme klingt beschwörend. »Wir brauchen den Aufenthaltsort. Sofort.«
Aus den Lautsprechern ertönt ein Knistern. Im Kamerafokus das zornige Gesicht Uta von Neilens, die nun aufrecht vor dem Tisch mit dem Schockgenerator steht. »Sie bedrohen mich mit einer Waffe? Machen Sie sich nicht lächerlich und kommen Sie zur Vernunft! In diesem Staat verhandelt man nicht mit Terroristen, das sollten Sie wissen.«
»Sehe ich aus, als wollte ich verhandeln?«
»Überlegen Sie mal! Sie können mich nicht einfach erschießen …«
»Oh. Doch. Ich. Kann.«
Devcon lässt den Telefonhörer sinken. Wie in Trance. »Und hunderte Leute sehen live dabei zu …«
»Kommt hin«, sagt Grafert. Tonlos. Und mit Seitenblick auf die Klickzahlen, die er mit einem neuerlichen Mausbefehl soeben aktualisiert hat.
»Sie vergessen scheinbar, wer ich bin.« Von Neilen spricht noch immer mit fester Stimme. Doch auf ihrer Stirn glänzen Schweißperlen. »Die Polizei wird Sie jagen, bis …«
Ein in den Ohren schmerzendes Piepen unterbricht ihren Satz.
»Das ist ein Irrtum. Niemand jagt den Jäger.« Ein lauernder Unterton liegt in der Roboterstimme. »Und ich werde Sie auchnicht einfach töten, nein. Sie stehen im Scheinwerferlicht. Das wollten Sie doch, oder? Und unser Publikum will schließlich etwas sehen.« Auf dem Monitor erscheinen die fahlen Hände. In der rechten ruht die Schusswaffe, die linke stülpt eine leere Plastikflasche über den langen Lauf.
»Ich werd wahnsinnig.« Grafert ist leichenblass, klingt, als hätte er Mehl im Hals. »Das sieht aus wie – nein, das ist eine Kalaschnikow!«
»Also, passen Sie auf, es läuft so.« Kameraobjektiv zurück auf das Gesicht der Ex-Ministerin. In dem blankes Entsetzen steht. »Zuerst zerschieße ich Ihre Kniescheiben.
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