Eiskalte Ekstase - ein Frankfurt-Thriller
wie das Horrorwerk, das wir gestern gesehen haben. Diesmal mit der erfrorenen Frau vom Mainufer, eindeutig, und unserem Mann ohne Gesicht. Vermutlich. Und ein dritter Film läuft gerade an. Im Live-Stream.«
21
»Mein Name ist Uta von Neilen.«
»Ich glaub, ich dreh am Rad!« Grafert glotzt auf den Bildschirm. »Das ist doch die kürzlich geschasste Ministerin für Arbeit und Soziales, oder? Was zum Teufel macht die denn da?«
»Absender ermitteln!«, brüllt Devcon in den Telefonhörer. »Was? Klar meine ich die IP-Adresse, welche denn sonst!«
Sein Blick klebt auf den Bildern, die der große Computermonitor auf seinem Schreibtisch liefert. Sascha Grafert, Leila Voist, Tatjana Kartan – sie stehen in Reih und Glied hinter ihm und verfolgen das Geschehen ebenfalls wie gebannt.
Die schmale Frau im grauen Businessanzug sitzt auf dem schwarzen Plastikstuhl. Das Kameraobjektiv zoomt ihr dezent geschminktes Gesicht langsam näher heran. »Meine Sekretärin hatte mich auf einen Ihrer Aufrufe bei Faceletter aufmerksam gemacht, und was soll ich sagen«, gekünsteltes Lachen, »Ihr Projekt hat mich neugierig gemacht.« Die Lider der Ex-Ministerin sind von vielen kleinen Fältchen umrahmt, doch die graugrünen Augen, sie lächeln nicht mit. Glitzern nur kalt. Erinnern an einen alten, jagderfahrenen Luchs auf der Lauer.
Devcon formt mit den Lippen die Worte Faceletter und Profil, deutet auf von Neilen und gibt Handzeichen in Richtung Tür. Leila Voist nickt und verlässt eilig den Raum.
»Eine Untersuchung zur Problematik der Gehorsamsleistung ist auch für meine derzeitige Arbeit mit bildungsferneren Schichten grundsätzlich von Interesse und deshalb …«
»Von wegen«, murrt Grafert. »Da stand wahrscheinlich was von Internet-TV, und du konntest der Verlockung nicht widerstehen, deine Visage endlich wieder in ein Kameraobjektivzu halten. Die Droge Aufmerksamkeit, schlimmer als reines Heroin.«
»Habt ihr sie endlich? Was, immer noch nicht?«, blafft Devcon ins Telefon. »Hier geht’s um jede Minute! – Was soll das heißen, anonymer Proxy?«
Tatjana Kartan verdreht die Augen und stößt ihn in die Seite, einen Finger an ihrem Mund.
»Wenn ich unser Projekt für das Publikum also kurz erläutern darf …«
»Es spricht die Ministerin …«
»Mann, jetzt gib du endlich auch Ruhe, Sascha! Wir müssen hören, was sie sagt. Vielleicht ergibt sich ein Hinweis auf den Aufenthaltsort«, zischt Kartan.
Auf dem Bildschirm nach wie vor das Gesicht Uta von Neilens. »Zur Verinnerlichung eines geregelten Tagesablaufes arbeiten wir in diesem Projekt zurzeit mit real anmutenden Supermarkt-Welten. Wir haben dort Kassenattrappen und Lebensmittel aus Plastik – übrigens mit der freundlichen Unterstützung eines öffentlich-rechtlichen Trägers.« In Großaufnahme das von Grafert so verabscheute ministeriale Haifischlächeln. »Ziel des Projekts ist, dass unsere Klientel in einer spielerischen Weise lernt, sich wieder in die echte Arbeitswelt einzugliedern.«
»In der es aber keinen Platz mehr für sie gibt, April, April«, kommentiert Grafert.
»Die in dieser Branche üblichen Hierarchien bilden wir selbstverständlich ebenfalls nach, insofern sind auch Ihre Untersuchungen für uns von großem Interesse.« Uta von Neilen blickt jetzt zu einem von der Kamera nicht erfassten Bereich. »Gleichzeitig möchte ich mich bei Ihnen für die wiederholte Terminverschiebung entschuldigen.« Das Gesicht der Ex-Ministerin auf dem Monitor – es wird langsam kleiner und ihre ganze zierliche Gestalt kommt ins Bild. Sie sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Plastikstuhl. Im Hintergrund sieht man einenTisch, auf dem, klar zu erkennen, der Schockgenerator steht. Von Neilen spreizt die Hände. »Normalerweise bin ich sehr zuverlässig, doch eine Grippe hat mich in der vergangenen Woche an mein Bett gefesselt.«
»Klar, logisch.« Grafert zieht die Stirn kraus. »Weil rauskam, dass es mit dem Ticket zur EU-Resterampe nichts wird. Mann, Mann, Mann, du musst deiner Chefin in Berlin ja mächtig ans Bein gepinkelt haben. Und jetzt klammerst du dich an jeden noch so armseligen Strohhalm. Traurig.«
Devcon presst die Lippen aufeinander, widersteht dem Impuls, seinen Platz zu verlassen und Leila Voist über den zeitlichen Rahmen für die Überprüfung der Aufrufe bei Faceletter zu informieren: Es muss mindestens eine Woche her sein. Doch dann fällt ihm ein, dass diese Aufrufe mit Sicherheit vom Absender längst gelöscht
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