Eiskalte Hand
überschrieben. Es benannte die Familie ihres Vaters samt Nachfahren als Besitzer eines Grundstücks im südlichen Teil Quandalas. „Oh“, entfuhr es Mia, „vielleicht bin ich ja doch vermögend.“ Ganz oben auf dem Blatt hatte irgendjemand handschriftlich etwas vermerkt. ‚Dein Erbe‘ stand darauf. Plötzlich fröstelte es die junge Frau ein wenig. Der Gedanke an ein – wie auch immer geartetes – Erbe löste ambivalente Gefühle in ihr aus. Sollte sie sich darüber freuen oder würde es ihr noch mehr Scherereien bringen? Klar war ihr allerdings, dass sie ihre Herkunft zunächst mit den Urkunden bestätigen lassen musste, bevor sie das Erbe dann eventuell antreten konnte. Aber das hatte Zeit. Auf ein paar Monate mehr kam es sicher nicht mehr an. Neugierig las sie weiter. Doch so sehr sie auch suchte. Über das Haus Xi-Yang und eine mögliche Verschwörung oder ein Attentat konnte sie nichts finden. Enttäuscht packte sie die Dokumente wieder zusammen und verstaute sie unter ihrem Kopfkissen. ‚Dann werde ich wohl warten müssen, was Pai Pey noch herausfindet.‘ Und sie hegte die große Hoffnung, dass es dem alten Mann gelingen würde, ihr einen endgültigen Beweis für die Schuld Xi-Yangs zu liefern. ‚Und dann können euch auch die Götter nicht mehr retten.‘
Kapitel 29
„Alarm!“ Der Schrei kam ganz aus der Nähe. Mia schreckte augenblicklich aus dem Schlaf hoch. Kerzengerade saß sie im Bett. Da war etwas draußen auf dem Flur. Gefahr. In einer fließenden Bewegung warf sie die Bettdecke von sich und griff nach dem langen Dolch, der immer griffbereit neben ihr lag. Dann sprang sie aus dem Bett und ging dahinter in Deckung. Ihr dünnes Nachthemd war sicher keine optimale Bekleidung für einen Kampf. Aber vielleicht lenkten die freizügigen Einblicke ja einen potenziellen Angreifer ein wenig ab. Sofern es sich dabei um ein männliches Wesen handelte, standen die Chancen gar nicht schlecht. Sekunden später prallte irgendetwas Schweres gegen die Tür ihres Zimmers. Splitternd brach sie aus ihren Angeln, und zwei Gestalten stürzten eng umklammert auf den Boden. Sie kämpften miteinander. Mia erkannte in einer der Personen Sheila. Ganz offensichtlich befand sie sich in der ungünstigeren Position. Ein dunkel gekleideter Mann war auf ihr zu sitzen gekommen. Mit seiner linken Hand hielt er die junge Frau an der Schulter gepackt, mit der rechten bewegte er sein Schwert auf ihre Kehle zu.
Mia musste schnell handeln. Ihr Dolch war zwar keine ausbalancierte Wurfwaffe, aber ihr blieb gar nichts anderes übrig. Also holte sie aus und schleuderte den Dolch auf den Angreifer. Der Wurf geriet etwas zu hoch und ließ die übliche Durchschlagskraft vermissen. Ohne große Anstrengungen riss der Fremde seine Schwerthand nach oben und lenkte den Dolch ab. Wirkungslos prallte er klirrend gegen die Wand. Mit einem triumphierenden Blick schaute er Mia an. Ganz, als wolle er sagen: Gleich bist du an der Reihe. Aber da hatte er sich wohl verrechnet. Dieser kurze Moment der Unachtsamkeit reichte nämlich Sheila, um zum Gegenangriff überzugehen. Abrupt riss sie die Arme nach oben und drehte die Ellenbogen dabei ein wenig nach außen. Der Angreifer geriet ins Taumeln und löste den Griff um ihre Schulter. Überrascht und verärgert bemühte er sich um sein Gleichgewicht. Ihm war klar, dass er diesen Kampf schnell beenden musste, wenn er seinen Vorteil nicht verlieren wollte. Also holte er mit dem Schwert aus zum finalen Streich. Ein harter Faustschlag direkt auf den Rippenbogen unterbrach ihn jäh in seinem Vorhaben. Es knackte. Heftiger Schmerz durchzuckte ihn. Fast gleichzeitig registrierte er, wie etwas blitzartig auf ihn zukam. Sheilas Hand krachte zielgenau gegen seinen Kehlkopf und zerquetschte ihn wie eine reife Tomate. Dem Angreifer wurde es schwarz vor Augen. Er begann zu röcheln. Das Schwert fiel ihm aus der Hand. Die junge Frau warf den nun ungefährlichen Gegner von sich und stand langsam auf. Ohne das geringste Mitleid sah sie zu, wie der Kerl zu ihren Füßen verendete.
Mia hatte sich mittlerweile neben Sheila gestellt und den Arm um ihre Schultern gelegt. „Gut gemacht!“, sagte sie. Mehr nicht. Doch in diesen Worten lag großes Gewicht. In Sheilas Augen blitzte für einen kurzen Moment unbändiger Stolz auf. Dann war ihr Gesicht wieder so ausdruckslos wie sonst. „Ihr habt mir das Leben gerettet.“, sagte sie schließlich trocken. Mia war beeindruckt. Ganz offensichtlich hatte das
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