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Eiskalter Sommer

Eiskalter Sommer

Titel: Eiskalter Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf S. Dietrich
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Schritte abnahm? Oder würde er sich über ihren Alleingang ärgern?
    Als die Bestätigung der Funkstreife eintraf, hatte Marie sich entschieden. Sie würde hinausfahren und je nach Situation am Fundort der Leiche entscheiden.
    Von der morgendlichen Frische war schon nichts mehr zu spüren, als Marie auf den Platz hinter dem Dienstgebäude trat, auf dem die Polizeifahrzeuge geparkt wurden. Die Sonne stand bereits hoch und brannte stechend. Als sie die Tür des aufgeheizten Dienstwagens öffnete, schlug ihr ein Schwall heißer Luft entgegen. Sie ließ die Tür zufallen. Heute würde sie dem Steuerzahler Benzinkosten sparen und ihren eigenen Motorroller benutzen.
    Unterwegs beglückwünschte sie sich zu ihrem Entschluss. Auf dem Roller war es nicht nur angenehm luftig, sie kam im dichten Verkehr auch zügiger voran. Es war Hauptsaison, und das warme Wetter hatte der Stadt und ihren Kurgebieten zusätzliche Gäste verschafft. Vom Stresemann-Platz über den Döser Feldweg bis zum Wolgast-Weg schlängelte sie sich an den Autos vor den Ampeln entlang, und überall beobachtete sie Menschen auf dem Weg zu den Stränden.
    Familien mit Kindern schleppten Sandspielzeug, Kühltaschen und Badezeug in Richtung Meer. Ältere Paare trugen zusammengerollte Decken, mit denen sie wahrscheinlich ihre Strandkörbe auspolsterten. Die wenigen jungen Pärchen, die zu dieser Zeit schon zum Wasser unterwegs waren, hatten am wenigsten Gepäck: meist nur Handtücher, Handys und MP3-Player. Im Gegensatz zu ihren älteren Zeitgenossen sprachen sie nicht miteinander, sondern bewegten die Köpfe im Takt der Musik aus ihren Ohrstöpseln. Auf der Höhe des Schleusenweges in Duhnen trottete eine weit auseinander gezogene Schulklasse hinter ihren Lehrern her. Auch die Schüler hatten sich die Ohren verkabelt.
    Sie wusste, dass es unvernünftig war, aber an der großen Ampelkreuzung vor dem Wolgast-Weg bog sie rechts in die Duhner Allee ein, um ihr Ziel über den Wehrbergsweg zu erreichen. Sie war länger nicht in Duhnen gewesen und wollte sich einen Blick auf die Großbaustelle vor dem Meerwasser-Wellenbad werfen. Seit Jahren mussten Anwohner und Kurgäste Lärm und Schmutz ertragen.
    Der Verkehr kam schon vor dem Robert-Dohrmann-Platz zum Stillstand. So hatte sie Gelegenheit sich umzusehen. Das Gedränge auf den Gehsteigen erschien ihr beängstigend, und sie fragte sich, ob alle diese Menschen am Strand einen Platz finden würden.
    Dort, wo der Parkplatz des Wellenbades gewesen war, gähnte ein großes Loch. Bauarbeiter mit bloßen Oberkörpern schaufelten Sand, schichteten Steine auf oder bedienten lärmende Maschinen. Betonmischer und andere Lastwagen rangierten in der Baustelle. Ringsum waren mehrere neue Apartment-Häuser entstanden, grelle Plakatwände priesen Ferienwohnungen an.
    Marie war froh, als sie den Ortskern hinter sich gelassen und den Dünenweg erreicht hatte. Die Fundstelle war schon von weitem auszumachen. Dort, wo sich zahlreiche Neugierige versammelt hatten, mussten die Kollegen und die Leiche zu finden sein.

    „Ich kann keine Anzeichen für Fremdeinwirkung feststellen.“ Der Arzt begrüßte Marie mit einem Kopfnicken und deutete auf einen Mann mittleren Alters in Sommerkleidung, der im Gras neben dem Weg auf der Seite lag, als hätte er sich zum Schlafen niedergelegt.
    „Todeszeitpunkt?“
    „Moment bitte.“ Nach einem Blick auf seine Armbanduhr ging der Arzt in die Hocke und zog ein Thermometer aus der hinten aufgeschlitzten Hose des Toten hervor. Während er sich aufrichtete, las er die Temperaturskala ab.
    „Vor zwei bis vier Stunden. Genaueres kann ich erst nach der Obduktion ...“
    Marie nickte und wandte sich an die uniformierten Kollegen: „Gibt es Hinweise zur Identität?“
    Die Beamten schüttelten die Köpfe. „Nein“, sagte einer. „Keine Papiere, nicht einmal eine Kurkarte. Möglicherweise hat er seine Sachen in einem Strandkorb. Oder es handelt sich um einen Einheimischen.“
    „Das werden wir hoffentlich bald herausbekommen.“ Jetzt erst trat sie näher an den Toten heran und beugte sich über ihn.
    Der Mann war zwischen fünfzig und sechzig Jahre alt, schlank und wirkte gepflegt. Unter den Schuhsohlen klebte Sand, das Oberleder war frisch poliert. Die Hose schien ebenso wenig abgetragen wie das Hemd. Sein Haupthaar war etwas gelichtet und an den Schläfen grau. Eine Fliege lief über die Wange und verschwand im Ohr des Toten. Marie widerstand dem Impuls, das Tier zu verscheuchen und richtete sich auf.

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