Eiskalter Sommer
der Freien und Hansestadt Hamburg verstärken, um einen ungestörten Ablauf der natürlichen Vorgänge sicherzustellen.“
„Gilt das auch für die Elbvertiefung?“, rief Felix Dorn den Politikern zu.
Eine der Kameras schwenkte ins Publikum. Ostendorff setzte ein herablassendes Lächeln auf und fixierte den Fragesteller. „Sie dürfen davon ausgehen, junger Mann, dass ich die Interessen der Einwohner auf der niedersächsischen Seite der Elbe angemessen vertreten werde. Und wie mir der Herr Senator versichert hat, wird es ...“ Der Abgeordnete stockte, sein Blick flackerte, mit einer fahrigen Bewegung griff seine Hand ins Leere, dann fing er sich wieder, „... wird es, wie gesagt, mit Hamburg ... auch in dieser Frage ... das Einvernehmen zwischen Hamburger und niedersächsischen ... äh ... Interessen, ich meine, einen Ausgleich, geben.“
Aus den Reihen der umstehenden Zuhörer gab es vereinzelte Beifallskundgebungen.
Mit einer einfachen Frage hatte Felix Dorn den Abgeordneten aus dem Konzept gebracht. Marie rechnete damit, dass er nun nachhaken würde. Doch Felix ergriff ihre Hand und wandte sich ab. „Komm, wir wollten doch ein Stück gehen, bevor wir wieder zwei Stunden auf dem Wattwagen sitzen.“
„Hast du gesehen, was passiert ist?“, fragte Felix, nachdem sie sich ein Stück von der Szene entfernt hatten.
„Du hast Ostendorff ganz schön in Verlegenheit gebracht. Die Frage passte ja auch wie ...“
„Das war es nicht.“ Felix schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Er hat den Faden verloren, nachdem er dich gesehen hat.“
„Das glaube ich nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er mich erkannt hat. Zwischen den vielen Menschen.“
„Erkannt? Das heißt, er kennt dich? Hattest du mit ihm zu tun? Eventuell sogar im Zusammenhang mit eurem aktuellen Fall?“
Marie erschrak. „Dazu kann ich dir nichts sagen, Felix. Ich komme in Teufels Küche, wenn ich ...“
Dorn hob die Hände. „Ist ja schon gut, Marie. Ich will dir keine Dienstgeheimnisse entlocken. Hat mich nur gewundert ...“
„Vielleicht irrst du dich.“
„Nein, Marie. Ich habe genau gesehen, wie sein Blick von mir zu dir gewandert ist. Und genau in dem Augenblick hat es ihm die Sprache verschlagen. Aber natürlich bist du mir keine Erklärung schuldig.“
Die restliche Zeit ihres Aufenthaltes auf der Insel verbrachten sie überwiegend schweigend. Marie suchte nach einer Erklärung für Ostendorffs Reaktion und ärgerte sich gleichzeitig darüber, dass ihr nun der Fall wieder im Kopf herumging. Warum konnte sie nicht einfach abschalten und die freien Stunden genießen?
Wenn Felix recht hatte – was befürchtete der Abgeordnete? Glaubte er, dass sie ihn beobachtete? Und was war daran für ihn so erschreckend?
Auf der Rückfahrt im Wattwagen musterte Felix sie besorgt. „Denkst du an euren Fall?“
„Ich frage mich, warum mein Anblick so eine beängstigende Wirkung hat.“
Felix lächelte. „Auf mich wirkst du umgekehrt eher ermutigend. Aber als Kind bekam ich auch immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich einen Polizisten nur gesehen habe. Offenbar weiß Ostendorff, dass du Kriminalistin bist. Und er hat etwas auf dem Kerbholz. Also vermutet er – zu Recht oder zu Unrecht –, dass du ihm auf der Spur bist.“
„Aber das passt nicht.“ Marie seufzte. „Jedenfalls kann ich es nicht so richtig einordnen. Am liebsten würde ich ihn und den ganzen Fall für den Rest des Tages vergessen.“
„Das ist eine gute Idee.“ Felix legte seinen Arm um sie und zog sie an sich. „Ich will gerne versuchen, dazu beizutragen. Wie wäre es, wenn wir nachher noch gemütlich zusammen essen? Zum Beispiel im Giardino? Oder wo immer du willst.“
Zufrieden lehnte sich Marie an Felix und schloss die Augen. Die Vorstellung, sich mit der Wahl des Menüs und eines passenden Weins zu befassen, statt über den aktuellen Fall nachzudenken, erschien ihr plötzlich ungeheuer verlockend. „Einverstanden“, murmelte sie. „Ich habe jetzt keine Lust auf meine leere Wohnung. Und Hunger habe ich auch.“
*
Marie fühlte sich leicht und entspannt, als sie gegen Mitternacht die Tür zu ihrer Wohnung aufschloss. Trotz der seltsamen Begegnung mit Ostendorff auf der Insel war es alles in allem doch ein schöner Tag gewesen. Ende gut, alles gut. Bei diesem Gedanken kicherte sie leise vor sich hin. Sie hatten sich wunderbar unterhalten, über Fußball- und Filmstars, über die Ursachen der weltweiten Klimaveränderung und über die Umbenennung
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