Eiskalter Sommer
Student“, flüsterte Hendrik. „Aber egal. Hauptsache, wir kommen hier weg.“
„Wo wollt’n ihr hin?“
„Lüneburg.“
„Soldaten?“
Die drei Männer nickten.
Kritisch musterte sie der Fahrer. „Na ja. Wahrscheinlich könnt ihr nichts dafür. Steigt ein, aber schnell dahinten kommt das nächste Auto. Bis Bremen kann ich euch mitnehmen. Ich heiße übrigens Tom.“
Rasch quetschten sie sich samt Gepäck in das schmale Fahrzeug und nannten Tom ihre Namen. Der nickte nur jedem zu und ließ den Wagen anrucken. Erstaunlich zügig nahm der 2 CV Fahrt auf.
*
Den Strandabschnitt zwischen Duhnen und Döse bevölkerten unzählige junge Leute, die ständig in Bewegung waren. Dennoch war es nicht allzu schwer, das Mädchen im Auge zu behalten. Sie war groß, schlank und blond – in dieser Hinsicht ähnelte sie ihrer Mutter – und trug einen roten Bikini. Sie wäre ihm wahrscheinlich sogar aufgefallen, wenn er nur zufälliger Beobachter des Beach-Volleyball-Spiels gewesen wäre.
Während er abwechselnd den Ball und das Mädchen beobachtete, fragte er sich, ob er seine Pläne ändern sollte. Obwohl er sich geschworen hatte, sein Vorhaben so zu Ende zu bringen, wie er es ersonnen und geplant hatte, schlich sich ein neuer Gedanke ein. Das Ableben der beiden Männer befriedigte ihn zutiefst, und bisher war er sicher gewesen, dass sich mit dem Tod des dritten Mannes die Wunden in seiner Seele schließen würden. Es war ihm geradezu selbstverständlich erschienen, durch die Vollendung seines Planes den Übergang in ein neues Leben zu bewirken. Ein Leben ohne Hass, ohne diese innere Unruhe, die ihn viele Jahre umgetrieben hatte. Aber konnte er dessen sicher sein? Was erwartete ihn wirklich nach Abschluss seines Vorhabens?
Gegen diese Unsicherheit stand die Gewissheit, ein Leben zerstören zu können, ohne es zu beenden. Wer dem Tod ins Auge sehen musste, hatte – wenn man es geschickt anstellte – qualvolle Stunden zu durchstehen, bis alles zu Ende war. Aber war der Verlust eines geliebten Menschen nicht unendlich quälender? Den eigenen Tod zu erleiden, war eine kurze Strafe, das Leiden am Tod eines Kindes eine lebenslange Sühne. Wenn er also die Tochter statt des Vaters ...
Mit großem Hallo endete das Spiel der jungen Leute. Unter anfeuernden Rufen rannte ein Teil von ihnen in Richtung Meer. Das Wasser spritzte unter ihren Füßen, schon bald stürzte der eine oder andere ins Watt. Schließlich erreichten sie die zum Schwimmen notwendige Wassertiefe.
Während Julia und ihre Freunde in der Nordsee planschten, ließ er sich unterhalb der Promenade im Sand nieder. Von dort aus hatte er die Jugendlichen im Blick. Ein Foto des Mädchens aus geringer Distanz würde dem Vater signalisieren, dass es nicht in seiner Macht stand, seine Tochter immer und überall zu schützen.
Und das wäre ein weiterer Nagel an Ostendorffs Sarg.
*
„Gibt’s was Neues von der Elbvertiefungs-Front?“, fragte Marie, als ihr Vater die Tür öffnete und sie in die Arme schloss.
Holger Janssen winkte ab. „Nur das Übliche. Die Politiker eiern rum. Erzählen uns, dass sie unseren Lebensraum schützen wollen, und tun doch nichts gegen die Bedrohung. Ich habe das Gefühl, dass die uns schlicht verarschen. Neuerdings sprechen sie von Fahrrinnenanpassung . Das klingt weniger gefährlich. Aber komm erst mal rein und lass uns von etwas anderem reden.“ Sein betrübter Gesichtsausdruck wandelte sich zu einem verschmitzten Lächeln. „Ich habe etwas Erfreuliches entdeckt. Etwas, das deiner Mutter und mir, sagen wir mal, Anlass zu gewissen Hoffnungen gibt.“
„Da bin ich schon richtig neugierig“, lachte Marie. „Aber zuerst will ich Mama guten Tag sagen.“
„Selbstverständlich. Und dann gibt’s sowieso erst Kaffee und Kuchen auf der Terrasse. Deine Mutter hat schon alles fertig. Du musst dich also noch etwas gedulden.“
„Das wird ja immer spannender.“
Maries Vater nickte und zwinkerte seiner Frau zu, die den Kopf aus der Küchentür streckte. „Nicht nur für dich, mein Kind.“
„Da bist du ja.“ Rieke Janssen strahlte über das ganze Gesicht und drückte ihre Tochter, so schien es Marie, heute besonders heftig. Ihr begann die angekündigte Überraschung etwas unheimlich zu werden. Was führten ihre Eltern im Schilde? Dann aber genoss sie doch den Obstkuchen ihrer Mutter und amüsierte sich innerlich über die mühsam verdeckte Ungeduld ihres Vaters.
Schließlich schien er es nicht mehr auszuhalten. „Lass
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