Eiskalter Sommer
„Ich muss nachher zum Friedhof. Die Beerdigung von Amelie Karstens.“
*
Der Mann vor der Tür kam ihm bekannt vor. Aber im Augenblick konnte er das Gesicht nicht zuordnen. Wahrscheinlich, weil er niemals mit seinem Besuch gerechnet hätte.
„Guten Tag, Herr Bohm.“ Gewinnend lächelte ihn der Besucher an. „Mein Name ist Ostendorff. Entschuldigen Sie bitte, dass ich unangemeldet komme. Ich will Sie auch nicht lange aufhalten. Haben Sie eine Minute Zeit für mich?“
Verblüfft trat Daniel Bohm zur Seite. Der Politiker. Er ist mit auf dem Foto. „Bitte.“
Während er den Abgeordneten ins Wohnzimmer führte und den Fernsehapparat ausschaltete, kreisten Fragen in seinem Kopf. Was will der von mir? Weiß er, dass ich das Foto weitergegeben habe? Will er darüber mit mir sprechen?
Nachdem sie sich gesetzt hatten, musterte Ostendorff ihn. Dabei lächelte er noch immer. „Sie sehen Ihrem Vater wirklich sehr ähnlich. Ich kannte Erik. Wir waren befreundet. Er stand mir sehr nah.“
Bohm nickte stumm.
„Sie fragen sich sicher, was ich von Ihnen will. Und das mit Recht. Wissen Sie, kürzlich habe ich beim Aufräumen alte Erinnerungen an Ihren Vater wiedergefunden. Darunter auch seine Todesanzeige, aber auch die Ankündigung Ihrer Geburt. Um es kurz zu machen: Ich möchte etwas für Sie tun. Auf die Schnelle lässt sich das nur nicht erklären. Ich habe gleich noch einen Termin. Können wir uns heute Abend zu einem ausführlichen Gespräch treffen? Ich würde Sie um neun Uhr abholen. Dann fahren wir zum Hafen, essen dort eine Kleinigkeit und ich erkläre Ihnen mein Angebot.“
Daniel Bohm überlegte einen Augenblick, dann zuckte er mit den Schultern. „Von mir aus.“
Sein Besucher erhob sich. „Jetzt muss ich mich leider verabschieden.“
*
Alles war viel einfacher, als er gedacht hatte. Bohm, Daniel war sein Vorname, hatte auf der Klingel gestanden, schien keineswegs der raffinierte Bösewicht zu sein, für den er ihn gehalten hatte. Aber egal, er musste ihn aus dem Weg schaffen. Nur wie er ihn auf die Yacht bekommen sollte, war ihm noch nicht klar. Mit vorgehaltener Pistole würde er ihn nicht zwingen können, das Boot zu betreten. Dafür war in diesen lauen Sommernächten zu viel Betrieb auf den Stegen und Anlegern. So sehr er sich auch den Kopf zermarterte – ein überzeugendes Argument, mit dem er ihn dazu hätte überreden können, fiel ihm nicht ein.
Also würde es doch in der Nähe des Hafens geschehen, wo er ihn anschließend verschwinden lassen könnte.
Ostendorff sah auf die Uhr. Wenn er das Boot nicht seeklar machen musste, blieb ihm noch genügend Zeit, den Wagen vorzubereiten. Die Polster mussten geschützt werden. Falls es im Auto passierte. Besser wäre natürlich draußen. Direkt am Hafenkai. Und er brauchte etwas zum Beschweren. Suchend sah er sich um. Schließlich entschied er sich für den Stockanker. Ersatz würde er morgen vom Schiffsausrüster holen.
Auf dem Weg führte er zwei Telefonate. Anschließend wusste er, wo und wie Bohm sein Geld verdiente.
*
Konrad Röverkamp war der Gang nicht leicht gefallen. Beerdigungszeremonien förderten in seinem Inneren noch immer jenen Schmerz zu Tage, der sich in seinem Unterbewusstsein verborgen hielt und ihn an den Abschied von Ingrid erinnerte. Auch wenn die Empfindung mit den Jahren schwächer geworden war und rascher wieder verging, blieb doch das Bild des im Grab versinkenden Sarges gegenwärtig.
Dennoch war er dankbar für die Möglichkeit, sich durch diesen Ritus von Amelie Karstens verabschieden zu können. Der Pastor hatte auf große Worte und fromme Sentenzen verzichtet und der kleinen Trauergemeinde das Gefühl vermittelt, der Verstorbenen das letzte Geleit zu einer großen Reise gegeben zu haben.
„Wie war’s?“, fragte Marie Janssen zögernd und sah ihn aufmerksam an, als er ins Büro zurückkehrte.
„Nicht so schlimm wie sonst.“ Röverkamp ließ sich an seinem Schreibtisch nieder. „Der Pastor war vernünftig. Hat das Ganze kurz und schmerzlos, aber trotzdem würdevoll bewältigt. Und ich habe Amelies Sohn kennen gelernt. Auch schon ein älterer Herr. Pensionierter Oberstudiendirektor. Macht einen sehr netten Eindruck. Hat offenbar keine Probleme damit, dass seine Mutter mir die Wohnung vererbt hat.“
Röverkamp hing noch ein wenig seinen Gedanken nach, dann straffte er sich. „Was hast du über Daniel Bohm herausgefunden?“
Marie reichte ihm einen Zettel. „Ich habe Adresse, Geburtsdatum und
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