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Eiskaltes Herz

Eiskaltes Herz

Titel: Eiskaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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Richtung der Polizei. »Was denn sonst? Die ist auf den Vorsprung gestiegen und dann, als sie wieder hochklettern wolle, ist sie abgerutscht.«
    »Sie schaffen sie jetzt weg«, rief ein Junge, der offenbar das Treiben der Polizei beobachtet hatte. »Irgendwas war mit ihren Ohren, die haben sie fotografiert.«
    »Lena?«
    Ich fuhr herum. Tine kam auf mich zu, kreidebleich, ihre blonden Haare zerzaust, die Augen schwarz verschmiert. Sie zitterte. »Oh, Lena!«
    Wir fielen uns in die Arme, Tine heulte sofort los,ich heulte mit. Ich war so froh, sie zu sehen. Meine beste Freundin. Meinen Rettungsanker.
    »Wo ist Leander?«, stieß ich aus. »Ich sehe den nirgendwo.«
    »Ich weiß nicht«, schluchzte sie. »Ich war doch im Zelt mit Gregor. Leander war gestern auf einmal weg. Und du auch. Wo warst du denn? Ich hab gedacht, du bist einfach nach Hause gegangen. Oh Gott, die arme Nessa. Das kann doch nicht sein, gestern hat sie noch gelebt und jetzt ist sie … jetzt ist sie …« Der Rest ging in hysterischem Schluchzen unter.
    Ich verstand das alles nicht. Ich kam mir vor, als hätte mich jemand aus Versehen in einem parallelen Universum ausgesetzt. Ich wollte zurück in mein altes Leben. Die Zeit zurückdrehen, von mir aus auch mit Leander und Vanessa als Paar, was spielte das noch für eine Rolle. Aber das hier – das konnte doch nicht die neue Realität sein. Oder?
    »Wo warst du denn eigentlich?«, schniefte Tine.
    »Ich hab im Wald geschlafen«, antwortete ich stockend. Jetzt, wo ich es aussprach, kam es mir unbegreiflicher denn je vor. Meine Eltern fielen mir ein. Die machten sich doch garantiert Sorgen, ich hatte nichts davon gesagt, dass ich woanders übernachten würde. Ich musste sie anrufen, aber wo war meine Tasche?
    »Im Wald?«, wiederholte Tine. Ein ungläubiges Flackern huschte kurz über ihr Gesicht, dann verschwand es wieder. »Deswegen siehst du so aus. Warum denn?«
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Kann ich mal dein Handy haben? Ich will meine Eltern anrufen.«
    »Klar.« Sie nestelte in ihrer Tasche und reichte mir ihr mit klebrigen Stickern verziertes Handy. »Da ist er doch.« Sie zeigte vor zu den Polizisten, wo auf einmal eine weitere Menschentraube aufgetaucht war, hauptsächlich junge Leute. Einer davon war Leander.
    Ich drückte Tine das Telefon in die Hand und rannte los.
    »Lasst mich durch! Leander!« Ich schob fremde Rücken zur Seite, drängte mich an Leuten vorbei, roch Schweiß und Rauch und hatte kurz einen Flashback zu letzter Nacht, als ich vor den Hexen geflohen war – die, da war ich mir jetzt sicher, nur in meiner Einbildung existiert hatten. Neben Leander stand ein Mann in einem dunkelblauen Blouson. Als er mir kurz den Rücken zuwandte, erkannte ich, dass Kriminalpolizei darauf stand. Leander sah aus wie ein Geist, aber er trug andere Sachen als gestern Abend. Er musste zu Hause gewesen sein.
    »Leander!«
    Er drehte sich um und schaute mich an. Und in dieser Sekunde stürzten Vergangenheit und Gegenwart und Zukunft in ein einziges tiefes Loch und ich verstand, dass nichts mehr so sein würde, wie es je gewesen war. Leanders Blick war voller Entsetzen, Trauer, Fassungslosigkeit. Leere.
    Ich hing irgendwo fest und riss mich los. MitSchwung stolperte ich zu Leander und fiel einen Meter vor ihm ins Gras. Es tat weh, aber ich stand wieder auf.
    »Dir ist was aus der Tasche gefallen«, bemerkte jemand hinter mir. Tasche? Die Tasche meiner Strickjacke? Ich bückte mich mechanisch, griff auf den Boden und erstarrte.
    »Das ist doch Nessas«, sagte eine Mädchenstimme.
    Ich schluckte, meine Finger ließen das Ding wieder fallen. Vanessas Federohrring. Der von gestern Abend. Aus meiner Tasche gefallen.
    »Darf ich mal?« Der Mann mit der Kripojacke bückte sich neben mir herunter. Er stülpte rasch einen Gummihandschuh über und griff nach dem Ohrring. »Wie sind Sie denn daran gekommen?«, fragte er mich.
    »Ich …« Mir hatte es die Sprache verschlagen. Ein paar Meter weiter stand das Volleyballmädchen von vorhin und tuschelte den gaffenden Leuten etwas zu.
    Der Mann hielt den Ohrring zwischen zwei Fingern. »Ich frage nur, weil bei der toten Vanessa das linke Ohrläppchen durchgerissen ist. Das andere Ohr ist intakt. Irgendjemand hat diesen Ohrring hier mit Gewalt abgerissen. Sie?«
    Leander öffnete leicht die Lippen, sagte aber nichts. In seinem Blick lag jetzt noch etwas anderes. Hass. Auf mich?
    Ich sah an mir herunter, auf meine erdigen Hände,meine dreckigen Jeans, auf

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