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Eiskaltes Herz

Eiskaltes Herz

Titel: Eiskaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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es?«
    »Wo ist was?«, frage ich mit dünner Stimme. TausendGedanken rasen durch meinen Kopf. Natürlich ist mir klar, warum ich hier bin . Was mache ich denn jetzt?
    Ich kann den beiden nichts vormachen, sie wechseln einen amüsierten Blick.
    »Also?« Der Albino tritt ein Stück auf mich zu.
    Sein Kumpel bleibt, wo er ist. Er tappt nur mit seinem Finger an den Türrahmen. Den mit dem Skarabäus.

11
Mai
    Irgendwie schaffte ich es aufzustehen, obwohl ich das Gefühl hatte, dass jemand einen Schraubenzieher in meinen Kopf bohrte. Ich hatte direkt neben dem Weg am Waldrand im Gras geschlafen. Warum, das verstand ich immer noch nicht, aber das war jetzt auch nicht so wichtig, denn um mich herum rannten auf einmal ganz viele Leute den Weg entlang. Die Augen aufgerissen, fuchtelnd, schreiend, die Hand entsetzt vor dem Mund, aber es prallte alles an mir ab wie an einer Glaswand. Ich stolperte ihnen einfach hinterher, denn sie schienen wenigstens ein Ziel zu haben.
    Das Ziel war gar nicht so weit weg von mir, ein Aussichtspunkt, ein Stück vom Wald entfernt. Schotter lag auf dem Boden und abgebrochener Kalkstein vom Berg. Die Leute starrten alle nach unten. Einige versuchten, vorsichtig den Hang hinunterzuklettern, rutschten ab, fluchten, krallten sich an Grasbüscheln fest.
    »Hört auf, seid ihr denn verrückt geworden?«, schrie jemand.
    Ich sah ebenfalls hinunter. Erst erblickte ich einenkleinen Vorsprung, in ungefähr zweieinhalb Meter Tiefe. Er war ziemlich schmal und glatt. Und dann sah ich sie: Vanessa. Sie befand sich weiter unten, mindestens fünfzehn Meter tiefer, am Ende einer Schleifspur aus Geröll und Erde, ihr Tuch und ihr rotes Handy lagen ein Stück weiter weg. Ihr Mund stand offen. Mein Gehirn war noch nicht richtig wach, mir war schlecht und im ersten konfusen Moment fragte ich mich, was um alles in der Welt Vanessa da unten wollte. Warum sie da geschlafen hatte. Neben ihr kniete ein Junge, der jetzt vorsichtig ihren Oberkörper anhob, und als ich das Blut an ihrem Kopf sah, war meine erste Reaktion Genugtuung. Es schien, als hätte sich mein innigster Wunsch erfüllt. Vanessa hatte sich verletzt und würde hoffentlich eine Weile lang nicht in die Schule kommen.
    »Nicht aufrichten«, schrie jemand. »Sie kann innere Verletzungen haben, verdammt noch mal.«
    Da sah der Junge, der sie im Arm hielt, hoch. Das pure Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er schüttelte langsam den Kopf. Und obwohl der Wind rauschte und immer mehr Leute hinzukamen und durcheinanderredeten und von irgendwoher ein Martinshorn erklang, verstanden wir alle, was er sagte.
    »Die ist tot.«
    Wenn der Tod in unser Leben tritt, greift er mit eisiger Hand nach unserem Herzen, nach unsererLunge, lässt uns nach Luft schnappen, dreht uns den Magen um, zwingt uns in die Knie.
    Bei mir machte er da keine Ausnahme. Ich stützte mich auf allen vieren ab und erbrach bitteren Schleim in das Gras, direkt neben die Reste einer Steinmauer.
    »Brauchst du Hilfe? Bist du in Ordnung?« Ein Mädchen kniete sich neben mich, strich mir die Haare aus dem Gesicht, damit ich sie nicht vollkotzte, und hielt meinen bebenden Körper fest. Sie dachte wohl, ich wäre krank. Dabei hatte ich nur den grässlichsten, furchtbarsten Kater der Welt. Scham und Entsetzen hatten die Nebel aus meinem Kopf vertrieben. Während ich letzte Nacht sturzbetrunken am Wegesrand eingeschlafen war, hatte sich Vanessa fünfzehn Meter in die Tiefe gestürzt. In ihren Tod.
    Trinken wir darauf, dass Vanessa Klinger sich heute Nacht zum Teufel schert.
    Ich bedeckte voller Horror mein Gesicht mit den Händen. Wie hatte ich nur so etwas sagen können? Psycho-Lena , schrillte eine Stimme in meinem Kopf.
    Ich kann doch nichts dafü r, schrie eine andere zurück.
    »Kenne ich dich?«, fragte das Mädchen jetzt. Sie hielt immer noch meinen Rücken und reichte mir jetzt ein Taschentuch.
    »Was?« Ich sah auf. Das war mein Fehler. Das Mädchen ließ mich augenblicklich los.
    »Du bist doch die Freundin von Nadine«, sagte sie mit deutlichem Unbehagen.
    »Ja. Und?«
    »Die gestern so über Vanessa hergezogen hat«, half sie mir auf die Sprünge. »Du wolltest …«, sie stockte. »Du wolltest, dass ihr mal jemand richtig eine in die Fresse haut.« Sie schlug plötzlich ihre Hand vor den Mund, als müsse sie sich bei meinem Anblick übergeben. »Ich kann nicht glauben, dass du das wirklich gesagt hast«, flüsterte sie. »Und jetzt ist sie …« Sie brach überwältigt ab.
    »Ich hab

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