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Eiskaltes Herz

Eiskaltes Herz

Titel: Eiskaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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eigentlich, was Sie da behaupten?«
    »Ich behaupte doch gar nichts.« Der Mann hobabwehrend die Hände. »Ich will ja nur wissen, wie Ihre Tochter an den Ohrring gekommen ist, und sie zeigt sich nicht sonderlich kooperativ, das ist alles.«
    »Woher hast du denn den Ohrring?«, fragte mein Vater. »Abgerissen haben wirst du ihn ja wohl kaum.« Die Andeutung eines Lächelns zeichnete sich kurz in seinem Gesicht ab und erstarb gleich wieder.
    »Ich habe keine Ahnung«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Er war einfach in meiner Tasche.«
    »Du musst doch wissen, ob sie ihn dir gegeben hat oder ob du ihn ihr … weggenommen hast!« Mein Vater hustete leicht.
    »Ich kann mich nicht erinnern.«
    »Wieso kannst du dich denn nicht daran erinnern?« Mein Vater klang langsam ungeduldig. Der Kripomann nickte zustimmend. Offenbar froh, dass ich wenigstens meinem Vater Rede und Antwort stand.
    »Ich war betrunken«, murmelte ich.
    »Du warst so betrunken, dass du dich nicht mehr erinnern kannst?« Meine Mutter tauschte einen fassungslosen Blick mit meinem Vater. »Mein Gott, Lena, was um alles in der Welt habt ihr denn hier oben gemacht?«
    Das Klopfen in meinem Kopf setzte erneut ein. Vage nahm ich ein Grüppchen Jugendlicher wahr, die beieinanderstanden, tuschelten und uns beobachteten. Übelkeit stieg in mir hoch, ich wollte mich irgendwo festhalten, griff nach dem Arm meines Vaters und fand mich plötzlich auf dem Boden wieder.
    »Lena!«, schrie meine Mutter erschrocken.
    Ich wollte nicht aufstehen. Wollte da unten liegen bleiben, zusammengerollt und mit dem Gesicht am kalten Boden. Es war die einzige Position, in der ich meine Übelkeit aushalten konnte, aber jemand rollte mich herum, leuchtete mir in die Augen, redete auf mich ein. Eine der Notärztinnen, die ich vorhin gesehen hatte.
    »Geht es wieder?« Ihre Stimme klang wie aus weiter Ferne.
    Ich nickte. »Wasser«, krächzte ich.
    Im Nu kniete meine Mutter neben mir und hielt mir eine Wasserflasche an meinen Mund. »Was machst du denn nur für Sachen«, flüsterte sie.
    Ich richtete mich auf, blieb aber auf dem Boden sitzen. Sofort kam die Übelkeit zurück und ich legte mich wieder hin.
    »Hat sie einen Kreislaufkollaps?«, fragte meine Mutter mit Panik in der Stimme.
    »Sie hat einen Kater«, meinte mein Vater. »Du hast doch gehört, was sie gerade gesagt hat.«
    Ich starrte hoch in die Bäume und auf einmal hatte ich das Gefühl, da oben wieder eins dieser grässlichen Hexengesichter zu sehen. Oben in den Ästen. Mit listigem Grinsen sah es auf mich herunter. Ich wurde langsam verrückt, das war es. Vielleicht hatte ich ja wirklich Vanessas Ohrring abgerissen. Möglicherweise hatte ich sie sogar den Felsen hinuntergestoßen!
    »Wie viel hast du denn getrunken?«, fragte michdie Notärztin. »Weißt du das noch ungefähr?« Sie war noch sehr jung und duzte mich einfach, das machte sie mir gleich sympathisch.
    »Bier und Wein und dann noch Wodka und so Zeugs«, murmelte ich. Allein bei dem Gedanken daran kam mir alles hoch.
    »Irgendwelche Drogen?«, fragte die Frau.
    »Unsere Lena nimmt doch kein Rauschgift«, empörte sich meine Mutter. Sie war wahrscheinlich der einzige Mensch auf der Welt, der noch von »Rauschgift« sprach, wenn es um Drogen ging.
    Ich schüttelte vorsichtig den Kopf, damit mir nicht wieder schwindlig wurde. »Nein, ich nehme so was nie.«
    »An was kannst du dich denn zuletzt erinnern?«
    »Zuletzt … da war mir schon so schlecht. Ich weiß nicht, wie spät es da war. Ich hab überall Hexen gesehen und Teufel, also gedacht, meine ich …« Ich verhaspelte mich. Jetzt klang auf einmal alles so lächerlich. »Es war schrecklich, ich hatte richtige Angst und dann muss ich irgendwie da vorn hingekommen sein und bin am Waldweg beim Felsen eingeschlafen und heute früh aufgewacht.«
    »Was denn um Gottes willen für Hexen? Und im Wald hast du geschlafen?«, fragte mein Vater. »Im April? Nicht im Zelt? Wieso denn nicht?«
    »Ich …«
    »Ich würde gern mal einen Bluttest bei dir machen«, sagte die Ärztin. Sie musterte mich aufmerksam. »Wenn du einverstanden bist? Vielleicht hastdu ja doch irgendwas genommen und kannst dich nicht mehr daran erinnern?«
    »Unsere Lena …«, brauste meine Mutter auf, aber mein Vater tätschelte ihr beruhigend den Arm. »Lass doch nur, Tanja«, sagte er. »Dann soll sie halt einen Test machen.«
    Ich nickte. »Ja, von mir aus.« Ich wollte nur hier weg. Und ich hatte keine Drogen genommen, das würde ich ja wohl

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