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Eiskaltes Herz

Eiskaltes Herz

Titel: Eiskaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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der Horror wurden immer größer. Ich stolperte voller Panik vom Feuer weg, ich schwitzte jetzt wie verrückt. Noch etwas fiel mir auf. Wo waren die ganzen Leute auf einmal hin? Die Wiese war so leer, nur hier und da huschten noch vereinzelte Schatten herum. Ich versuchte zu rennen, aber ich kam nicht voran, es war, als ob mich etwas festhielt. In meinem Magen rumorte es, mein Kopf dröhnte, der Waldboden kam auf mich zu und glitt wieder weg, etwas Ekliges kroch meinen Hals hoch und Spucke lief mir aus dem Mund. Ich fiel hin, stand wieder auf und blickte geradewegs in das vermummte Henkergesicht.
    »Wir brauchen noch eine Hexe«, kreischte er undzerrte an mir. »Ins Feuer mit ihr!« Höhnische Fratzen tauchten neben ihm auf, sie schienen in der Luft zu schweben. Eine Hand schob sich vor mein Gesicht, zeigte mir ihre rot verbrannte Haut. Ich winselte und rannte los. Ich rannte und hinkte und kroch, hörte gellende, unmenschliche Schreie, wahrscheinlich hatten sie jemand anderes gefunden und ins Feuer geschmissen. Weg hier. Weg hier. Zum Felsen, da fing der Weg an. Zu den Felsen …
    Dann wurde es schwarz.
    In meinem Mund war Erde. Ich öffnete ein Auge, das andere war irgendwie verklebt. Alles in mir brüllte vor Schmerz und Übelkeit. Brüllte wahnsinnig laut. Ich tastete blind um mich, richtete mich auf. Waldboden. Gras. Tannenzapfen. Heller Himmel. Meine Glieder wie Sandsäcke. Und dann dieses Gebrüll in mir. Nein, nicht in mir, draußen. Da vorn, beim Weg. Ich richtete mich schwerfällig auf. Wieso um alles in der Welt lag ich hier am Waldrand auf dem Boden herum? Es war, dem Himmel nach zu urteilen, schon längst früher Morgen. Und warum schrie da jemand so dermaßen laut? Vage erinnerte ich mich an etwas Schreckliches, etwas, das ich gesehen hatte, bevor es dunkel wurde. Ich fröstelte, schlang meine Arme um mich, lauschte, versuchte, dem Geschrei einen Sinn zu entnehmen. In diesem Moment hörte ich es.
    »Sie atmet nicht mehr! Scheiße, sie atmet nicht mehr.« Und noch mal voller Panik. »Oh, verdammt, Hilfe!«

10
Juni
    Wir halten endlich an. Vor einem dieser Abrisshäuser bei den Industrieanlagen, ganz in der Nähe der Stelle, wo wir damals das Foto für das Plakat der Gargoyles geschossen haben. Wenn ich doch nur die Zeit zurückdrehen könnte.
    In der absurden Parodie eines Chauffeurs hält mir der Albino die Tür auf. Eine Sekunde lang ziehe ich in Erwägung, einfach im Auto sitzen zu bleiben wie ein trotziges Kleinkind. Aber ich habe Angst. Unter anderem vor Schmerzen, die er mir zufügen könnte. Ich steige doch aus.
    Sofort packt er mich am Arm. »Rein.« Er nickt in Richtung Haustür. Hier wohnt keiner mehr. Die Klingelleiste baumelt an einem Draht, die Fenster sind fast alle eingeschlagen, an die Hauswand hat jemand Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Attentat gesprüht.
    »Wo ist Leander?«, frage ich und bleibe stehen. Meine Augen suchen blitzschnell die Gegend ab. Jemand muss das doch hier sehen, verdammt noch mal. Da vorn ist die Hauptstraße, an der Ecke ein Dönerladen, man riecht es bis hier. Wenn ich mich losreiße und renne, könnte ich es bis dahin schaffen.
    »Los jetzt!« Der Albino packt mich unsanft an beiden Armen, sein Kumpel telefoniert.
    Der Hausflur ist dunkel und kalt und riecht nach modrigem Holz und Urin. Der Treppe zum ersten Stock hoch fehlen ein paar Stufen, aber dahin gehen wir auch nicht, wir gehen gleich rechts in die Parterrewohnung. Haxen abkratzen mahnt ein vergilbtes Schild, einziges Überbleibsel aus der Zeit, als das hier noch das Zuhause von irgendjemandem war.
    Der Albino schiebt mich links in das erste Zimmer, das ehemalige Wohnzimmer, wie es scheint. Eine Wand ist noch mit einer gelben Blümchentapete beklebt, anhand der hellen Flecken kann man ahnen, wo Schränke standen. Jetzt liegt nur noch eine fleckige Matratze auf dem Boden. Der Albino signalisiert mir, dass ich mich dahin setzen soll, aber ich bleibe stehen.
    Sein Kumpel tritt ins Zimmer.
    »Wo ist Leander?«, frage ich wieder. »Du hast behauptet, Leander schickt dich zu mir.« Natürlich war das der blanke Unsinn, das ist mir mittlerweile klar. Aber ich muss irgendwas sagen. Mich an Worten festhalten, um mir vorzumachen, dass alles gar nicht so schrecklich ist, wie es scheint. »Wo ist er also?«
    Statt einer Antwort kracht etwas im Nebenzimmer. Ich zucke zusammen. Da ist noch jemand.
    »Dein Kerl ist jetzt erst mal egal«, meldet sich unvermittelt Albinos Kumpel. »Du wirst ihn schon noch sehen. Wo ist

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