Eiskaltes Schweigen
Visitenkarte mit dem Emblem der Baden-Württembergischen Polizei achtsam auf den Tisch und fuhr fort: »Hin und wieder musste sie natürlich einkaufen. Ein- oder zweimal hat sie auch einen kleinen Ausflug gemacht. Die Decke ist ihr wohl ein wenig auf den Kopf gefallen. Und manchmal ist sie auch abends weggegangen, meist an Samstagen. Aber verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich habe ihr nicht nachspioniert. Man kennt mit der Zeit den Klang der Türen. Man erkennt die Nachbarn am Schritt, an der Art, wie sie mit dem Schlüssel klimpern.«
»Wo ist sie hingegangen an diesen Abenden?«
»Sie ist immer gegen sieben, halb acht aufgebrochen, bei diesen Gelegenheiten hat sie auch Parfüm aufgelegt und sich schick gemacht. Was ihre Kleidung betraf, hatte sie Geschmack, das muss ich sagen. Meist ist sie spätestens gegen elf wieder nach Hause gekommen. Sie wird essen gegangen sein, denke ich. Man muss hin und wieder hinaus, ich weiÃ, wovon ich rede. Und das ist leider alles, was ich Ihnen über Frau Bovary berichten kann.«
Mein dritter Kaffee war getrunken. Mein Magen hatte sich endlich beruhigt. Frau Hasenkamp brachte mich zur Tür.
»Was meinen Mann betrifft«, sagte sie leise, als wir uns zum Abschied die Hände reichten, »nicht dass Sie Schlimmes von mir denken. Frau von Freithal, die hat den Tod ihres Gatten am Ende herbeigesehnt. Die hat sich darauf gefreut, endlich ein neues Leben beginnen zu dürfen. Ihr drittes Leben, sagt sie immer. Nach der Jugend, wo einem jeder sagen darf, was man zu tun und vor allem zu lassen hat, nach der Ehe, wo der Mann bestimmt, genieÃt sie jetzt ihre Freiheit in vollen Zügen. Bei mir war es nicht so. Ich â¦Â« Für eine Sekunde presste sie die schmalen Lippen zusammen. »Für mich ist dies hier schon mein viertes Leben. Ich habe meinen Mann sieben Jahre lang gepflegt. Mein drittes Leben hat eine heimtückische Krankheit bestimmt.«
Ich nickte ihr stumm zu. Auch ich hatte nach dem Tod meiner Vera unser Haus verkauft und den Wohnort gewechselt. Aus diesem Grund war ich in Heidelberg gelandet. Aus diesem Grund war ich jetzt Kripochef. Eine Karriere aus Verzweiflung, wenn man so will.
Die ehemalige Lehrerin schloss ihre Tür sorgfältig und mit Nachdruck hinter mir.
2
Der schmucklose, neonbeleuchtete Flur hatte sich inzwischen fast völlig geleert. Nur der Kollege mit der Uniformmütze unterm Arm hielt unerschütterlich Wache vor der Tür der gegenüberliegenden Wohnung. Von innen hörte ich unaufgeregte Stimmen und leise Geräusche â die Spurensicherung war also schon am Werk.
Meine Untergebenen befragten inzwischen die Nachbarn, soweit diese zu Hause waren und morgens um halb sechs Wildfremden die Tür öffneten, welche behaupteten, Polizisten zu sein.
Polizeiroutine. Der Alltag eines gewaltsamen Todes.
Ich beschloss, endlich nach Hause zu fahren, und zückte mein Handy. Der Akku war schon wieder fast leer, aber für einen Anruf bei der Taxizentrale würde es noch reichen. Es wurde Zeit, mir einen neuen zu besorgen. Vielleicht konnte ich diese Aufgabe meinen Zwillingen aufs Auge drücken? Glücklicherweise kam dieses Mal der Aufzug, in den sich niemand erbrochen hatte. Trotz eines groÃen Aufklebers mit der rot durchgestrichenen Zigarette hatte jemand kürzlich darin geraucht. Der zerkratzte Spiegel zeigte mir einen blassen, sichtlich übernächtigten, fasteinsneunzig groÃen und nicht mehr ganz schlanken Mittvierziger in zerknautschtem dunklem Anzug. Er trug zu seinem Leidwesen eine Brille, sein Haar war schon deutlich ergraut, die Krawatte hing auf Halbmast, über dem Arm trug er einen anthrazitfarbenen Wintermantel.
Es gab einen Ruck, der Aufzug sank in die Tiefe.
Dreimal war in der vergangenen Nacht die Polizei gekommen. Eine griechische Hochzeit, bei der die Polizei nicht kommt, taugt nichts, hatte ich gelernt. Jedes Mal war es mir gelungen, die Kollegen zu besänftigen, und nach einem gut eingeschenkten Schnaps aufs glückliche Brautpaar waren sie wieder abgezogen. Eine griechische Hochzeit muss laut sein, hatte ich gelernt. Je lauter, desto glücklicher die neu gegründete Familie.
Das Hochzeitsfest meiner Ersten Kriminalhauptkommissarin Klara Vangelis war nicht nur gemessen an Lautstärke, Alkoholkonsum und Polizeipräsenz ein durchschlagender Erfolg gewesen. In diesem Punkt waren wir uns alle einig gewesen, als wir uns vor etwa einer
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