Eismord
spektakulären Blick genießen. Bei dem Haus handelte es sich um einen langgestreckten, niedrigen Bungalow, der aus Klinker und Stein sowie reichlich Zedernholz errichtet war. Er wusste nicht, wer dort lebte, sondern nur, dass die Besitzer ein leuchtend rotes Kanu besaßen, das den ganzen Sommer über am Landesteg angebunden war. Cardinal blieb stehen, Delorme ebenfalls. Sie sah ihn durch ihre Atemwolke mit einem fragenden Blick an.
»Woran denkst du als Erstes, wenn du das hier siehst?« Cardinal machte eine ausladende Bewegung, die den Wald, den See und die Insel einschloss.
»Abgeschiedenheit.«
»Geht mir genauso«, sagte er und setzte seinen Weg fort. Bei jedem Schritt knirschte der Schnee.
Eine junge Polizistin, die vor dem Haus stand, hob ihre Taschenlampe, um zu sehen, mit wem sie es zu tun hatte. Cardinal kannte sie flüchtig vom Revier.
»Police Constable Gifford«, sagte sie. »Ich weiß, wer Sie beide sind.«
Cardinal zeigte auf die verwischten Fußspuren vor der Eingangstür. »Ich hoffe, da sind keine von Ihnen dabei.«
»Nein, aber da drüben.« Sie wies auf Abdrücke unter dem Fenster. »Ich wollte sehen, ob es Überlebende gibt. Ich dachte, ich sollte reingehen – das Schloss zur Gartentür ist aufgehebelt, und ein Fenster ist zerbrochen –, aber der Staff Sergeant meinte, lieber nicht, wir sollten auf Sie warten, und das hab ich auch getan.«
»Wer hat es gemeldet?«
»Ein paar Jungs, die am Ufer entlanggelaufen sind. Sie schwören, sie hätten weder das Schloss noch das Fenster aufgebrochen, und ich glaube ihnen.«
»Eine Wanderung im Stockdunkeln?«, hakte Delorme nach.
»Ich weiß. Die sind so um die dreizehn, die Eltern übers Wochenende verreist, und der ältere Bruder ist vermutlich der denkbar schlechteste Babysitter.« Sie nannte die Namen der Jungen und eine Adresse in der Water Road am anderen Ufer, Richtung Stadt zurück. »Ich hab sie in den Streifenwagen gesetzt.«
Delorme lief zum Fenster an der Vorderseite des Hauses und hielt ihre Taschenlampe an die Scheibe.
»Tief Luft holen, bevor Sie sich das antun«, sagte Gifford. »So was hab ich noch nie gesehen.«
Delorme trat vom Fenster zurück und drehte sich um.
Cardinal folgte ihrem Beispiel und leuchtete ebenfalls mit der Taschenlampe hinein. Die Leichen befanden sich im rückwärtigen Teil des Hauses, auf diese Entfernung kaum mehr als Silhouetten. »Himmel«, sagte er und machte einen Schritt nach hinten.
Er begab sich, gefolgt von Delorme, zur Gartenseite des Hauses.
»Wir hätten den Wagen wahrscheinlich an der Straße stehen lassen sollen«, sagte Gifford. »Aber nach der spärlichen Information hätte es alles Mögliche sein können, von einem Fehlalarm aus Spaß bis zur Geiselnahme. Hab allerdings versucht, nicht darüberzufahren.« Sie wies auf die Reifenspuren zwischen dem Haus und der Streife. »Die waren schon da.«
»Zwei Fahrzeuge«, sagte Cardinal. »Und deutliche Spuren.«
»Soll ich mit Ihnen reinkommen?«
»Wir brauchen Sie hier. Bitte sorgen Sie dafür, dass niemand auf die Eingangsstufen tritt«, antwortete Cardinal.
Sandy und Doug waren dreizehn und vierzehn Jahre alt. Beste Freunde. Normalerweise würde man annehmen, dass sie von dem, was sie gesehen hatten, traumatisiert sein mussten, doch Cardinal wusste, dass sie ihm mit strahlenden Augen entgegenblicken würden. Er und Delorme nahmen jeder getrennt ihre Zeugenaussagen auf, wobei die einzige Schwierigkeit darin bestand, ihren Redeschwall zu bremsen. Sie waren an der Südseite der Halbinsel gelaufen, nicht auf dem Eis, sondern am Ufer. Sie hatten keinen Unfug geplant, sondern nur eine kleine Wanderung am Wasser entlang. Doch dann hatte die Neugier gesiegt, und sie kamen auf die Idee, heimlich in die Fenster des Hauses an der Spitze der Landzunge zu spähen.
Kaum hatten die Jungen einen Blick durchs Fenster an der Rückseite geworfen und »wie die Reiher gekotzt«, hatten sie die Polizei verständigt. Die Constables Gifford und Rankin waren eingetroffen, hatten durchs Fenster gesehen und sie aufgefordert, im Wagen zu warten.
Cardinal richtete seine Taschenlampe auf die Fußstapfen, die vom See zum Haus führten, und diejenigen in die umgekehrte Richtung. »Waren hier schon irgendwelche Spuren, bevor ihr zum Haus raufgegangen seid?«
Die Jungen sahen einander an und schüttelten den Kopf.
»Die Gartentür ist aufgehebelt, und ein Fenster ist aufgebrochen«, sagte Cardinal. »Habt ihr davon irgendwas mitbekommen?«
Wieder
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