Eisnacht
das Leben nicht besser laufen können. Beide arbeiteten mit vollem Einsatz an ihrer Karriere, aber sie spielten und liebten ebenfalls mit vollem Einsatz. Sie kauften die Berghütte und zogen sich an den Wochenenden hierher zurück; manchmal kamen sie bis zur Abreise nicht aus dem Schlafzimmer heraus.
Während jener Zeiten war er im Bett noch voller Selbstvertrauen gewesen. Es zeigte sich darin, wie er liebte. Er war ein einfühlsamer und großzügiger Partner, ein stürmischer und umsichtiger Liebhaber, ein liebevoller, fürsorglicher Ehemann.
Doch schon bald kamen die Streitereien, die sich aus seinem Argwohn gegenüber ihren finanziellen Einkünften entwickelten, weil sie seine weit überstiegen. Sie wandte ein, dass es nicht zählte, wer mehr verdiente, dass er im öffentlichen Dienst arbeitete, wo die schwersten Jobs am schlechtesten bezahlt und am wenigsten geachtet wurden.
Sie sagte die Wahrheit. Doch er hörte aus ihren Worten nur fadenscheinige Rechtfertigungen dafür, dass er seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht wurde. Er fürchtete, im Police Department niemals so weit aufsteigen zu können wie sie in der Zeitschrift.
Im Lauf der Zeit entwickelte sich seine Versagensangst zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Gleichzeitig stieg Lillys Stern immer höher. Ihr beruflicher Erfolg nagte immer heftiger an seinem Stolz. Er versuchte das mit Frauen auszugleichen, die in ihm den schneidigen Helden sahen, der er um jeden Preis sein wollte.
Jedes Mal, wenn Lilly ihn wegen seiner Untreue zur Rede stellte, zeigte er sich zutiefst reuig und behauptete, die Affären seien nichts als bedeutungslose Seitensprünge. Bedeutungslos waren sie keineswegs für Lilly, die irgendwann drohte, ihn zu verlassen. Dutch tönte, dass er sterben würde, wenn sie ihn verließe, dass er fortan treu bleiben würde, dass er sie liebe, und bettelte sie an, ihm zu verzeihen. Das tat sie - weil sie mit Amy schwanger war.
Das ungeborene Kind tat ihrer Ehe gut. Anders als das geborene Kind. Schon kurz nach der Geburt begann sich Dutch mit einer Polizistin zu treffen. Als Lilly ihm vorhielt, was sie bereits wusste, stritt er alles ab und behauptete, das seien Hirngespinste, ausgelöst durch Übermüdung, Depression und Hormone. Dass er sie so abspeisen wollte, hatte sie noch mehr verletzt als seine fadenscheinigen Lügen.
Nur Amy schuf mitten auf diesem ehelichen Schlachtfeld eine neutrale Zone, in der eine friedliche Koexistenz möglich war.
Sie strahlte so viel Liebe aus, dass ihr Leben beinahe normal wirkte. Die geteilte Freude über das Kind half ihnen, vergangene Meinungsverschiedenheiten zu vergessen. Sie mieden alles, was neue Spannungen erzeugen konnte. Sie waren nicht wirklich glücklich, aber sie kamen miteinander aus.
Dann starb Amy. Die geschwächten Fundamente ihrer Ehe sackten unter der Last der Trauer zusammen. Die Beziehung verkam zusehends, bis Lilly glaubte, dass es nicht mehr schlimmer kommen konnte.
Weit gefehlt.
Selbst jetzt begann Lilly zu schaudern, zog instinktiv die Knie an die Brust und vergrub den Kopf in den Kissen, wenn sie an jenen Vorfall dachte, der für sie der Todesstoß für ihre Ehe gewesen war.
Doch nach ein paar Sekunden rief sie sich ins Gedächtnis, dass diese Ehe inzwischen Geschichte war. Sie brauchte nicht mehr daran zu denken. Der gestrige Tag hatte ihre Loslösung von Dutch besiegelt. Nachdem sie weder emotional noch legal länger an ihn gebunden war, konnte sie endlich nach vorn blicken.
Dass Ben Tierney ausgerechnet jetzt in ihr Leben zurückkehrte, war eigenartig ironisch. Er war genau an jenem Tag wieder aufgetaucht, an dem sie offiziell ihre Freiheit wiedererlangt hatte. Gestern Abend hatte er ihre eingeschlummerten erotischen Instinkte nicht einfach nur wachgerufen, sondern sie mit einem Paukenschlag aus dem Tiefschlaf gerissen. Von seinem Kuss hatten ihr die Ohren geklingelt.
Er hatte ihr Herz gewonnen, als er sie von seinem Sitz in jenem klapprigen, rostigen Bus aus angestrahlt hatte. Nach diesem einen Tag am Fluss hatte sie einfach alles an ihm gemocht. Sein Aussehen sowieso. Was hätte es da nicht zu mögen gegeben? Aber sie mochte auch ihn, seine Intelligenz, die Leichtigkeit, mit der er sich über jedes beliebige Thema unterhalten konnte.
Andere in der Gruppe hatten sich ebenfalls zu ihm hingezogen gefühlt. Die Collegestudentinnen hatten kein Hehl aus ihrer Schwärmerei gemacht. Aber selbst der hartgesottene Kajakfahrer, der Tierney anfangs um seine überlegenen
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