Eisnacht
kannst.«
»Ich kann selbst hinfahren.«
Wes schüttelte den Kopf. »Du würdest ins Schleudern kommen, einen Unfall bauen und dir das Bein brechen. Nein, ich werde dich fahren.«
Seine Mom meinte: »Ich glaube nicht, dass es so schlimm wäre, wenn er einen Tag lang nicht trainiert.«
»Das zeigt nur, wie wenig du davon verstehst, Dora.«
Das Telefon läutete.
»Ich gehe ran«, sagte Scott.
»Ich gehe ran.« Wes riss ihm den Hörer aus der Hand. »Du machst dich an die Bewerbungen.«
Scott trug seinen Teller zur Spüle und bot seiner Mom an, mit ihr zusammen das Geschirr in den Geschirrspüler zu laden. Sie schüttelte den Kopf. »Tu lieber, was Wes sagt. Je eher du fertig bist, desto schneller kannst du zu deinen Freunden.«
Wes legte auf. »Das war William Ritt.«
Scotts Nackenhaare stellten sich auf.
»Er sagte, ich soll sofort in den Drugstore kommen.«
»Wieso?«, fragte Scott.
Dora sah aus dem Fenster. »Hat er heute geöffnet?«
»O ja, er hat geöffnet, und er hat Kundschaft. Du glaubst gar nicht, wer da aufgetaucht ist und mit Dutch sprechen will.« Er hielt Scott und Dora mehrere Sekunden hin, bevor er im Bühnenflüsterton verkündete: »Das FBI.«
»Was wollen die denn von Dutch?«, fragte Dora.
Scott konnte es sich denken, aber er wartete ab, bis sein Vater seine Vermutung bestätigte.
»Ich wette darauf, dass es um Millicent geht.« Wes zog seinen Mantel vom Haken und streifte ihn über. »Nachdem ich der Vorsitzende des Gemeinderates bin, meinte Ritt, dass ich das erfahren sollte.« Er öffnete die Hintertür und sagte im Hinausgehen: »Vielleicht haben sie eine Spur.«
Scott sah ihm nach und starrte noch lange nachdem sein Vater verschwunden war, auf die verschlossene Tür.
Kapitel 15
Gewöhnlich erschien Linda Wexler um Punkt sechs Uhr zur Arbeit in Ritt's Drugstore, um Kaffee zu kochen und alles vorzubereiten, bevor sie um sieben für jene unverbesserlichen Frühaufsteher öffnete, die jeden Morgen nach Maisgrütze und gebratenem Schinken hungerten.
An diesem Morgen schaffte sie das nicht. Sie hatte kurz vor Tagesanbruch angerufen und William erklärt, dass es auf ihrem Grundstück aussah wie in Sibirien. »Und es kommt immer mehr runter. Bis es der Streulaster hierherschafft, sitze ich fest.«
William gab das an Marilee weiter, die ihn davon abzubringen versuchte, aus dem Haus zu gehen und den Drugstore zu öffnen. »Wer wagt sich heute früh schon vor die Tür? Warte wenigstens ein paar Stunden, bis die Straßen gestreut sind.«
Aber er war stur entschlossen, pünktlich zu öffnen. »Ich habe die Einfahrt schon freigeschaufelt. Außerdem verlassen sich meine Kunden auf mich.«
Der Carport neben dem Haus schützte die beiden Wagen. Durch das Küchenfenster beobachtete sie, wie William in sein Auto stieg, den Anlasser betätigte und ihr durch die Windschutzscheibe hindurch den erhobenen Daumen zeigte, als der Motor ansprang. Vorsichtig setzte er zurück und fuhr dann davon.
Obwohl Marilee ihn im Haus zu halten versucht hatte, genoss sie es, allein daheim zu sein. Einen ganzen Tag für sich zu haben, war ein unglaublich entspannendes und befreiendes Gefühl. Sie kehrte in ihr Zimmer zurück, streifte den Morgenmantel ab und kletterte wieder in ihr warmes Bett, wo sie in den erotischen Erinnerungen schwelgte, die sie und ihr Geliebter letzte Nacht geschaffen hatten.
Natürlich konnte er nie die ganze Nacht bleiben, aber er verschwand auch nie direkt nach dem Liebesakt. Mehrere kurze, magische Minuten lagen sie jedes Mal nebeneinander und gaben sich ihren ausschweifenden Gedankenspielen hin. Die Köpfe eng aneinandergeschmiegt, malten sie sich in poetischen Schilderungen oder übelster Gossensprache Phantasien aus, die selbst die abenteuerlustigsten Erotomanen erröten lassen würden. Nicht selten setzten sie zuletzt ihr verbales Vorspiel in die Tat um.
Sie verweigerte ihm nichts. Er hatte unbeschränkten Zugriff auf ihren Körper. Vor ihm war ihre Sexualität unerschlossenes Ödland gewesen. Als sie das erste Mal zusammen gewesen waren, hatte sie ihm ohne jede Scham oder Zurückhaltung angeboten, ihre Sexualität nicht nur zu erforschen, sondern auch rücksichtslos Gebrauch davon zu machen.
Es hatte lange gedauert, bis es zu diesem ersten Mal gekommen war. Sie hatten sich schon jahrelang gekannt, als sich ihre wechselseitige Wahrnehmung schlagartig verändert hatte. Vom selben Moment an, so schien es, hatten sie den jeweils anderen in einem ganz neuen Licht betrachtet.
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