Eisprinzessin
beim Anwesen Beethovenstraße 3 in Wettstetten eintrifft, stellen die Beamten fest, dass der Unternehmer den laut schreienden, vermutlich alkoholisierten Mann kennt. Es handelt sich um dessen Schwiegersohn.«
Meißner schloss aus der folgenden Beamtenprosa, dass Eberl mit einem Schlüssel, wahrscheinlich dem von Charlotte Helmer, nachts in das Haus eingedrungen war, randaliert und dann mit seinem Schwiegervater gestritten hatte und anschließend nicht mehr freiwillig gegangen war. Eberl hatte immer wieder geschrien, er gehöre auch zur Familie und habe ein Recht, sich in dem Haus aufzuhalten, was der alte Helmer aber anders gesehen hatte. Nur in Anbetracht der Tatsache, dass es sich um den Mann seiner Tochter handelte, wollte der Unternehmer ihn nicht wegen Hausfriedensbruchs anzeigen. Allerdings verlangte er die Herausgabe des Schlüssels und verbat sich weitere Besuche. Als Eberl daraufhin seinen Schwiegervater als »krumm gebohrtes Arschloch« beschimpfte und mit einer Bodenvase nach ihm warf, legten die Beamten ihm Handschellen an und entfernten ihn aus dem Haus.
Auch was dann im Präsidium passiert war, konnte Meißner in Brunners Protokoll nachlesen. Der neue Kollege, der gleich zur Stelle war, als man ihn benachrichtigte, hatte Eberl einem Alkoholtest unterzogen, was dieser nur unter Protest mit sich geschehen ließ. Eins Komma acht Promille waren zwar nicht sehr viel, konnten aber für Eberls Aggressivität zumindest mitverantwortlich sein. Gewissenhaft hatte Brunner jeden einzelnen »Scheißbullen« notiert, den Eberl ihn geheißen hatte. Auf die Frage, was er denn überhaupt im Haus seines Schwiegervaters gewollt habe, konnte der Mann keine schlüssige Antwort geben. Als er Charlottes Jugendzimmer verwüstet, den Betthimmel zerlegt und die Regale leer geräumt hatte, hatte Helmer ihn überrascht und zur Rede gestellt.
Meißner rief bei Helmer senior an. Es meldete sich das Hausmädchen Vilma aus Tallinn, Riga oder Vilnius. Er sagte, er komme gleich noch einmal vorbei und sie solle Charlottes Zimmer noch nicht aufräumen, sondern es in dem Zustand lassen, wie es war. Vielleicht konnte er ja rausfinden, was Eberl im Haus gesucht hatte.
Als Meißner in Wettstetten eintraf, war der Senior bereits in der Firma, dafür erschien kurz nach ihm Brunner in der Garageneinfahrt. Vilma sagte ihnen, sie sei am Vorabend spätnachts, eigentlich erst am frühen Morgen, aus München zurückgekommen und habe von der Sache erst erfahren, als sie dem Senior das Frühstück servierte. Helmer hatte ihr erzählt, sein Herr Schwiegersohn habe in der Nacht zuvor im Haus randaliert. Er nannte ihn nie anders als »mein Herr Schwiegersohn«, sagte Vilma, weshalb sie seinen richtigen Namen nicht kannte. Er war im Haus Helmer nie gefallen, zumindest nicht in ihrer Gegenwart. Sie habe ihn bisher auch nicht persönlich kennengelernt. Nur die Tochter Charlotte, die kannte sie, wenn auch nicht besonders gut.
Ob der Junior noch im Haus sei, wollte Meißner wissen.
Er schlafe noch, sagte Vilma. Er sei gestern Abend nicht im Haus gewesen, als sein Schwager hier war.
Logisch, dachte Meißner, wenn er mit dem zur Geliebten aufgestylten Hausmädchen in den Clubs und Bars der Landeshauptstadt abgehangen hat.
»Hat Eberl dir eigentlich gesagt, was er hier wollte?«, fragte Meißner, als er mit Brunner nach oben ging.
Sein Kollege schüttelte den Kopf. »Ich glaube, das hat er selbst nicht so genau gewusst. Er sagte aber, er würde nach einer Spur suchen, nach irgendeinem Hinweis.«
»Einem Hinweis auf Charlottes Aufenthaltsort?«
»Das waren zumindest seine Worte.«
»Du glaubst ihm nicht?«
»Keine Ahnung. Jedenfalls verträgt der Typ keinen Alkohol. Der war total neben der Kappe. Du hättest den blassen Burschen nicht wiedererkannt. War drauf wie ein Halbstarker. Wenn wir nichts tun, muss er eben selbst etwas unternehmen, hat er gesagt.«
»Sie in ihrem Elternhaus suchen?«
Als Meißner das Zimmer betrat, konnte er sich seine Frage selbst beantworten. Der Mensch, der hier gewütet hatte, war nicht zum Suchen gekommen. Er hatte nicht seine Frau hier vermutet, sondern wollte seine Wut an ihren Sachen auslassen. Er war gekommen, um zu zerstören. Wie ein Kind, das die Sandburg eines anderen zertritt, der es nicht mitspielen lässt. Eberl war an einer empfindlichen Stelle getroffen und gekränkt worden. Deshalb hatte der böse Bube die rosarote behütete Mädchenidylle zerschlagen wollen. Aber meistens sind die Idyllen sowieso nicht
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