Eisprinzessin
Zutritt in sein Haus verschafft und hat dort herumgeschrien und getobt. Er wollte das Haus nicht mehr verlassen, obwohl er ihn mehrfach dazu aufgefordert hat.«
»Eberl?«, fragte Meißner.
Holler nickte.
»Und in welches Haus ist er eingedrungen?«
»Drei Mal darfst du raten.«
»In Wettstetten? Beim Schwiegervater?«
»Treffer.«
»Wie ist er reingekommen?«, wollte Marlu wissen.
»Wahrscheinlich mit dem Schlüssel seiner Frau.«
»Und was wollte Eberl dort?«
»Sich aufführen und rumschreien, einfach Dampf ablassen – vermutet sein Schwiegervater.«
»Und dann? Wie ist die Sache ausgegangen? Hat Eberl sich wieder beruhigt?« Meißner hatte Schwierigkeiten, sich den apathischen Mann so aggressiv vorzustellen.
»Im Gegenteil. Er hat sich immer weiter reingesteigert. Weil die gerufenen Streifenkollegen wussten, dass er etwas mit der vermissten Frau zu tun hat, haben sie uns gleich verständigt. Der Brunner Axel ist gleich hergekommen und hat ihn in Gewahrsam genommen.«
»Eberl hat die Nacht bei uns in der Zelle verbracht?«, fragte Marlu.
»Fremdgefährdung, Eigengefährdung, wie auch immer. Hier war er immerhin erst mal sicher.«
* * *
Verdammt, er musste doch irgendwo sein. Wohin hatte sie ihn geräumt? Wieso hing er nicht im Schlüsselkasten? Musste sie ihn verstecken? Vor wem? Vor ihm? Immer diese Geheimnisse, die sie um ihre Familie machte, um das dunkle große Haus, in dem er sich schon immer unwohl gefühlt hatte, in dem er nie willkommen gewesen war. Nie war er gut genug für diese Familie, für dieses Haus gewesen. Für die Villa. Er, ein Handwerkersohn aus Lenting, ein Niemand. Aus einer Familie, der auch nach zwei Generationen noch das Stigma ›Aussiedler‹ anhaftete. In manchen Gegenden Bayerns war man ein Einheimischer, oder man war es nicht. Selbst in hundert Jahren konnte man nicht zu einem werden. Als Jugendlicher hatte er immer versucht dazuzugehören, zu sein wie sie, zu saufen wie sie. Das Saufen hatte ihn fast umgebracht. Aber dann war sie aufgetaucht. Charlotte hatte ihn sogar zur Berufsschule gefahren, als sie ihm den Führerschein abgenommen hatten. Sie hatte ihn in der Klinik besucht und ihm vertraut. Sie hatte tatsächlich daran geglaubt, dass er noch zu retten war. Aber jetzt, jetzt hatte sie den verdammten Schlüssel vor ihm versteckt.
Als er Charlotte kennenlernte, hatte er gedacht, er könnte es schaffen. Mit ihr zusammen könnte es möglich sein. Aber als er die Ablehnung ihrer Familie spürte und Charlottes Wunsch, ihn vor der Familie zu verbergen und ohne ihn zum Rudern oder auf den Tennisplatz zu gehen, da hatte er wieder angefangen zu zweifeln. Manchmal, wenn er besser drauf war, redete er sich ein, die Familie und Charlotte bräuchten nur mehr Zeit, um zu realisieren, was sie in Wirklichkeit an ihm hatten. Er liebte und verehrte Charlotte und hätte wirklich alles für sie getan. Die Helmers konnten ja nicht für alle Zeiten so abweisend zu ihm sein. Sie brauchten einfach noch mehr Zeit, das Gute in seinem Wesen zu erkennen, das Verlässliche. Aber es war nie anders geworden. Sie behandelten ihn immer gleich herablassend, wie Abschaum, nein, noch schlimmer: wie ein Nichts, eine Null.
Wo war jetzt dieser verdammte Schlüssel? Er konnte nicht mehr länger warten, er musste irgendetwas tun. Er musste in diesem Haus nach einer Spur suchen. Ihre eigene Wohnung hatte er schon ein paarmal komplett durchsucht, die Schränke ausgeleert, die Schubläden ausgekippt. Anfangs hatte er sie noch säuberlich wiedereingeräumt, später den Inhalt nur noch reingeworfen, wenn er mit dem Durchsuchen fertig war. Irgendwo musste das verdammte Ding doch sein. Er würde ihr schon noch auf die Schliche kommen. Es sei denn, sie bewahrte ihn woanders auf. Vielleicht in ihrem Schreibtisch bei der Arbeit. Dass sie ihn bei sich hatte, glaubte er nicht. Sie würde ihn nicht brauchen, sie würde nicht dorthin gehen, nicht zurück. Das würde sie bestimmt nicht tun. Er hatte das Bett bereits durchwühlt, die Matratze rausgenommen, Matratzenschoner, Unterbett, Leintuch. Hatte die Betten und Kissen abgezogen, Bettwäsche und Handtücher ausgebreitet. Ihre Unterwäsche durchsucht. Wie schön sie immer alles zusammenlegte und in die Schubladen räumte. Wie liebevoll sie zu den Dingen war. Wie gern wäre er eines ihrer Seidenhöschen gewesen, hätte ihre Finger gespürt, wie sie ihn berührten, wie ihre Fingerkuppen über seine Haut strichen.
Er schob die Wäscheschubladen wieder zu. Er war ein
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