Eisprinzessin
lebendig.«
Als er aufgelegt hatte, suchte er im Melderegister nach Eva Maria Helmer. Helmer, hier: Eva Maria, geborene Cranach. Am 25. 04. 1960 in Coburg geboren, verheiratet mit Erwin Helmer, zuletzt gemeldet in Wettstetten. Eva Maria war also die um ein ganzes Stück jüngere Ehefrau von Helmer senior und die Mutter von Andreas und Charlotte Helmer. Als er ihren Namen im Sterberegister eingab, fand er keinen Eintrag. Sie war 1995 gestorben, als es noch kein elektronisches Melderegister gegeben hatte. Vielleicht war der Fehler ja beim Datenübertrag passiert. Meißner rief beim Standesamt an, wo ihm eine Angestellte versprach, gleich in den Melde- und Sterbebüchern nachzusehen. Nur wenig später meldete sie sich zurück, um ihm mitzuteilen, dass es auf den gesuchten Namen keinen Eintrag im Sterberegister gab.
»Und was heißt das jetzt?«, fragte er perplex.
»Und wenn sie nicht gestorben ist, dann lebt sie noch heute.«
»Und ihr Mann ist kein Witwer.«
»Richtig. Sein Familienstand lautet: verheiratet. Tag der Eheschließung: 12. 06. 1982 in Ingolstadt. Der Mann ist seit dreißig Jahren verheiratet. Und so, wie’s aussieht, immer noch mit derselben Frau.«
»Mit Eva Maria Helmer.«
»Genau.«
Meißner hatte das Gefühl, als würden die Karten gerade noch einmal neu gemischt. Helmer senior hatte ihn also angelogen. Alle hatten sie in Bezug auf Eva Maria Helmer gelogen. Wenn sie aber nicht tot war, was war dann mit ihr? Und warum log ihre Familie? Im deutschen Melderegister gab es jedenfalls keine zweite Person mit diesem Namen und Geburtsdatum.
Als Meißner weder den alten noch den jungen Helmer telefonisch erreichen konnte, stützte er den Kopf in die Hände und dachte selbst nach. Aber er kam einfach nicht drauf, was das alles zu bedeuten hatte.
Meißner fuhr ins Industriegebiet hinaus. Auf dem Parkplatz der Donau-Kühlung standen die Fahrzeuge der Angestellten. Zwei Kühllastwagen warteten im Hof darauf, be- oder entladen zu werden. Meißner konnte nirgendwo den BMW des Seniorchefs entdecken, dafür stand der Q 7 des Juniors vor der Halle. Drinnen waren jetzt alle verfügbaren Gabelstapelfahrer im Einsatz, und die regulären Mitarbeiter unterstützten tatkräftig die Kollegen. Die ganze Halle sah aus wie ein Schlachtfeld. Auf der einen Seite wurden die Paletten mit dem Gabelstapler aus den Regalen geholt, abgeladen, die Folien zerschnitten, in die das Gefriergut eingeschweißt war, zerlegt und dann von einem zweiten Team wieder aufgepackt und auf dem Drehteller der Wickelmaschine neu in Folie verschweißt, bevor sie mit den Gabelstaplern wieder zum Regal gefahren wurden. Die Polizeibeamten schwitzten in ihren Schutzanzügen und freuten sich über jede Pause, in der sie vor der Halle ihre Mützen und Handschuhe ablegen konnten. Schwitzen, frieren und dann wieder schwitzen – bei Minusgraden. Einige jammerten bereits über Kreuzschmerzen, aber es sah so aus, als könnten sie sich tatsächlich irgendwann durch die gesamte Halle gewühlt haben. Die Arbeitsweise war mittlerweile eingespielt und recht effektiv.
An Brunner war offenbar ein erfolgreicher Betriebsleiter verloren gegangen. Er leitete und koordinierte die gesamte Aktion. Marlu hielt sich stets in seiner Nähe. Der Chef und seine rechte Hand. Meißner trat näher, die Hände aus Temperaturgründen in den Hosentaschen vergraben.
»Ihr kommt ja gut voran«, sagte er. »Schon irgendwas gefunden?«
»Du meinst, außer Erbsen, Möhrchen, Fischstäbchen und Vanilleeis? Nein, bis jetzt nichts.« Marlu hatte schon eine ganz rote Nase.
»Ist ja vielleicht auch gut so.«
»Meinst du etwa, ich bin scharf auf eine tiefgekühlte Leiche?«
Plötzlich tauchte der Juniorchef in der Halle auf, entdeckte Meißner und steuerte mit ausgestrecktem Zeigefinger auf ihn zu. Er drohte ihm, ihn auf Schadenersatz zu verklagen. Er habe empfindliche Waren gelagert, könne aufgrund dieser Aktion seine Liefertermine nicht einhalten und würde nun seinerseits von den Spediteuren verklagt werden. Ob seine Behörde gegen solche Fälle versichert sei und sie sich so etwas überhaupt leisten könne?
Brunner kam dazu und begann dem Junior nun seinerseits zu drohen: Wenn er so weitermachte, würde er ihn wegen Behinderungen der Ermittlungen festnehmen lassen. Meißner verließ die Unterhaltung. Es war ihm zu kalt und zu laut in der Halle. Die zwei Kampfhähne traten unmittelbar hinter ihm ebenfalls hinaus auf den Hof und setzten ihr Gebrüll im Freien fort.
An der Einfahrt
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