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Eisprinzessin

Eisprinzessin

Titel: Eisprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Graf-Riemann
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im Schlaf geschlossen, zusammengesunken, den Kopf etwas zur Seite geneigt, den Körper in den fast quadratischen Sarg eingepasst. Die Mumien, die man im Norden Chiles gefunden hatte, fielen ihm ein. In der Atacama-Wüste hatte irgendein Volk seine Leichen im Sitzen begraben. Der heiße Wüstensand hatte sie mumifiziert, sodass sie bis heute mit Haut und Haar erhalten waren. Die Leiche in der Kühlbox war eindeutig jüngeren Datums. Und vollständig durchgefroren.
    Wie hatte er sich nur so irren können? Nie im Leben hätte er gedacht, dass sie hier eine Leiche finden würden. Nicht einmal, dass es überhaupt eine Leiche geben würde. Nicht dass er glaubte, er sei unfehlbar, aber wann hatte er mit der eigenen Einschätzung zuletzt so danebengelegen? Was war denn los mit ihm? War sein Instinkt auf einmal weg? Im Urlaub? Vielleicht wegen seiner persönlichen Verbandelung, wegen der blöden Teeküche? Hatte er wegen einer solchen Lappalie seine Arbeit vernachlässigt und sich wie ein angeschossener Hirsch in den Wald zurückgezogen? Während der Kollege sich wie ein Maulwurf durch das Kühlhaus gefressen hatte, hatte er Brennholz gehackt und das Jagdverhalten des gemeinen Graureihers studiert. Er war ein Kauz. Ein Waldschrat, wie Marlu ihn genannt hatte, eine lächerliche Figur.
    Meißner nahm einen Schluck von seinem eiskalten Bier, auch so eine saublöde Idee. Nach einem Tag im Kühlhaus hätte er sich besser einen Tee oder Kaffee bestellt – oder gleich einen Schnaps. Jetzt stand das von der Kälte beschlagene Glas vor ihm, und er bekam das Zeug einfach nicht runter. Entweder sparten sie im Stadtcafé in diesem Winter an den Heizkosten, oder er hatte den falschen Platz erwischt. Über den Boden waberte eine Kaltluftschicht, in der er bis zur Mitte seiner Waden steckte. Dass er das alles nicht geträumt hatte, bewies ihm ein Blick auf die Bilder auf seinem Smartphone. Eine tiefgefrorene Frauenleiche. Blond, das Alter passte zur Vermissten, ebenso die Statur. Er verglich die Bilder mit dem Foto von Charlotte Helmer, das Eberl ihnen gegeben hatte. Sie war es, wer sollte es auch sonst sein, verdammt noch mal? Eine Sitzbestattung. Als hätte sich jemand bemüht, dem Opfer etwas von seiner Würde zurückzugeben und den Schaden wiedergutzumachen. Der Bestatter musste nicht unbedingt der Mörder sein.
    Meißner zog das Bild auf dem Handydisplay größer. Im Hintergrund tauchte das Regal auf. Was waren das für merkwürdige Päckchen unter der Folie? Auf den Kartons war eine viereckige Pizza abgebildet oder irgendein anderer quadratischer, mit Käse überbackener Fladen. Eine neue Sorte Bauernpizza? Meißner kannte die Marke nicht. Jedenfalls sah sie ekelhaft aus. Für heute hatte er wirklich genug. Er ließ sein halb volles Bierglas stehen und fuhr nach Hause.
    An der südlichen Ringstraße tankte er und überlegte kurz, ob er noch etwas einkaufen sollte. Espresso war noch in der Maschine, eine angebrochene Flasche Grappa stand seit ewigen Zeiten im Kühlschrank. Außer von Kaffee und Schnaps träumte er jetzt nur noch von einer heißen Dusche. Wie ein geprügelter Hund schlurfte er zum Auto und fuhr los.
    Als jemand wissen wollte, wohin die Leiche denn nun käme, man könne sie ja schlecht im Kühlhaus zwischen Pizza und Rahmspinat lassen, hatte Brunner schon wieder einen flotten Spruch parat gehabt, während Meißner wie ein Statist untätig abseits gestanden und sich wie das fünfte Rad am Wagen gefühlt hatte.
    »Nach Bozen, nehme ich an«, hatte Brunner gesagt. »Dort sind sie seit dem Ötzi auf kalte Leichen spezialisiert.«
    Jemand hatte gelacht.
    Als Meißner in die Münchner Straße einbog, sah er im Rückspiegel einen Streifenwagen, der ebenfalls auf die B 13 fuhr und schnell näher kam. Es war einer der 5er-Touring- BMW -Serie mit dem neuen Design: mintgrüne Balken auf Türen und Motorhaube, reflektierende Konturmarkierungen und Schriftzüge. Auf dem Dach ein durchgehender Balken für das Blaulicht. Als Meißner genauer hinsah, bemerkte er, dass es eingeschaltet war. Er wusste nichts von einem Einsatz und dachte sich auch nichts dabei, bis der Wagen ihn überholte und im Heckfenster die rote Leuchtschriftaufforderung erschien, er möge ihm folgen. Das Einsatzfahrzeug blieb in einer Parkbucht am rechten Fahrbahnrand stehen, Meißners Audi knapp dahinter. Was war denn jetzt wieder los? Sollte das ein Scherz sein?
    Die beiden Polizisten stiegen aus. Eine jüngere Kollegin, die er nicht kannte, trat an sein offenes

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