Eisprinzessin
Fenster, die Hand am Pistolenhalfter, und Meißner glaubte, sich verhört zu haben, als der Kollege, der hinter ihr stehen blieb, mit einem Klick seine Pistole entsicherte.
Was war denn mit denen los, zum Teufel?
»Ihren Ausweis, bitte!«, forderte die Polizistin ihn auf.
Meißner zog seinen Dienstausweis aus der Innentasche der Jacke, während die Frau jede seiner Bewegungen beobachtete.
»Darf man fragen, was ihr von mir wollt? Ich komm grad von einem Einsatz.«
Die Kollegin schaute sich den Ausweis an. »Soweit wir wissen, kommen Sie vom Tanken«, sagte sie.
»Und?«
»Sie haben dort etwas vergessen.«
Meißner sah sie an. »Ich hab nichts vergessen«, sagte er. »Und jetzt würde ich wirklich gern heimfahren. War ein ziemlich langer Tag heute.«
»Wie viel haben Sie denn getankt?«
»Keine Ahnung, vierzig Liter ungefähr?«
»Und haben Sie bar bezahlt oder mit Karte?« Die Kollegin musterte ihn immer noch.
Das Blaulicht irrlichterte über die Münchner Straße und flackerte kalt auf den Hauswänden an der rechten Straßenseite. Meißner starrte die Kollegin an. Mist! Das durfte jetzt einfach nicht wahr sein!
»Sie haben die Tankstelle verlassen, ohne zu bezahlen. Damit haben Sie sich gemäß Paragraf 263 eins, Abschnitt 22 Strafgesetzbuch strafbar gemacht.«
Versuchter Betrug. Noch ein Fehler am Ende eines langen kalten Tages. Er fühlte sich auf der ganzen Linie gedemütigt.
»Der Tankstellenpächter hat sich Ihr Kennzeichen notiert.«
Jetzt trat der Kollege näher an Meißners Fenster. Er grüßte mit der Hand an der Mütze. »Servus.«
Meißner kannte ihn, erinnerte sich aber nicht an seinen Namen. »Dann fahr ich jetzt mal heim und geh ins Bett«, sagte er zu dem Polizisten. »Kennzeichen und Ausweis habt ihr ja.«
Die beiden Kollegen standen unschlüssig neben seinem Wagen, traten aber zurück, als er den Motor startete, und hinderten ihn nicht am Wegfahren. Zechprellerei. Was würde ihm in Zukunft noch einfallen, das ihm außer Gespött vonseiten der Kollegen nichts einbrachte? Davon jedoch reichlich. Er fühlte sich wie ausgespuckt.
Aber das Schicksal, oder wer auch immer dafür verantwortlich war, setzte noch einen drauf. Schuld war er eigentlich selbst, weil er beim Betreten des Hauses den Briefkasten öffnete, obwohl ihn gar nicht interessierte, ob etwas drin war, und wenn ja, was. Er nahm zwei Werbeblätter heraus, die dick mit Prospekten gefüllt waren. Dazwischen steckte ein Brief. Er wunderte sich. Außer Behörden schrieb ihm niemand Briefe.
Er war von Carola. Warum hätte er ihn nicht aufmachen sollen? Sein Instinkt für Unheil hatte schon den ganzen Tag versagt und tat es nun noch ein letztes Mal. Als er im Flur seiner Wohnung den Umschlag aufriss, kam eine Karte zum Vorschein. Es war eine Einladung zur Hochzeit. Am zweiten Februar. Mariä Lichtmess, dachte Meißner.
»Ist’s an Lichtmess hell und rein, wird’s ein langer Winter sein. Wenn es aber stürmt und schneit, ist der Frühling nicht mehr weit.« Die einzige Bauernregel, die er seit der Volksschule kannte. Auch wenn er nicht mehr sicher war, ob sie so oder nicht doch ganz anders lautete, als er sich das jetzt zusammenreimte.
Die Einladung zierte ein eingedrucktes Farbfoto, das drei Personen zeigte: Carola und ihren Supersportler im Zielbereich irgendeines Laufwettbewerbs, verschwitzt, aber glücklich. Carola hielt den kleinen Konstantin auf dem Arm, der erschrocken in das Objektiv der Kamera blickte, auf das seine Mutter mit dem Finger zeigte. Die heilige Lauffamilie. Genau das, was Meißner in dieser Nacht noch gebraucht hatte. Das Foto gab ihm den Rest. Er verzichtete auf den Umweg über den Glasschrank und nahm einen großen Schluck Grappa direkt aus der eiskalten Flasche. Der Schnaps brannte ihm fast ein Loch in den Bauch. Wenn irgendwie möglich sollte er die Erinnerung an diesen schmählichen Tag auslöschen, wenigstens für die nächste halbe Stunde, bis er eingeschlafen war.
DREIZEHN
»So eine Saukälte!« Paul Rossberg war der erste Kollege der Spurensicherung, der am nächsten Morgen im Kühlhaus der Donau-Kühlung eintraf und sich mit wattierter Hose und Anorak ausstattete.
»Meinst nicht, dass du dir in den Schuhen die Zehen abfrierst?«, fragte Brunner, der noch nicht wusste, dass die schwarzen Sneaker Rossbergs Markenzeichen waren – im Sommer wie im Winter.
»Ich hab Wollsocken an«, murmelte Rossberg. »Das passt dann schon. Wir werden ja nicht stundenlang drin sein, oder?«
Brunner zuckte die
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