Eisprinzessin
nicht immer der gefeierte Held sein, und deine Pension kassierst du ja trotzdem. Wir sind eben doch Beamte und keine Jahrhundertgenies. Auch wenn wir’s gern anders hätten, gell?«
»Jetzt hör schon auf.« Endlich machte Meißner den Mund auf. »Woher weißt du das eigentlich alles? Hast du geheime Verbindungen nach Ingolstadt?«
»Da schaust, gell? Ich werd meine Informanten nicht verraten, aber so viel haben die mir eh nicht gesagt. Das meiste hab ich mir selbst zusammengereimt. Also, Meißner, wo liegt dein Problem?«
»Mein Problem ist, dass ich trotz Leiche und Geständnis einfach nicht glauben kann, dass es so ist, wie es ausschaut. Menschen lügen nicht nur, wenn sie ihre Schuld vertuschen wollen. Es gibt auch Fälle, wo einer lügt, grad weil er unschuldig ist.«
»In der Psychologie kenn ich mich nicht so gut aus, Meißner. Aber meinst du jetzt so was wie die G’schicht mit dem Münchner Schauspieler, diesem …?«
»Dem Farbigen?«, half Meißner Kern bei der korrekten Wortwahl. »Du meinst Günther Kaufmann?«
»Genau den. Der ist doch für Jahre ins Gefängnis gewandert wegen einem Mord, den er zwar gestanden, aber nie begangen hat.«
»Allem Anschein nach aus Liebe, um seine kranke Frau zu schützen. Vielleicht war Kaufmann der allerletzte Isar-Romantiker.«
»Na, da gibt’s doch noch den Willy Michl, der lebt sogar noch. Aber in deinem Fall ist die Frau ja tot. Da gibt’s niemanden mehr zu schützen.«
»Ich weiß es ja auch nicht. Kann eh sein, dass ich mich täusche.«
»Dubium sapientiae initium«, sagte Kern.
»Der Zweifel ist der Weisheit Anfang«, übersetzte Meißner. Der Spruch ging ihm runter wie Öl. »Aber noch was ganz anderes. Kennst du vielleicht die Marke Krusta?«
»Krusta? Was soll das sein? Was zum Essen?«
»Eine viereckige Pizza.«
»So ein Schmarrn. Viereckig? Pizza mag ich eh nicht, weder rund noch eckig. Liegt am zerlaufenen Käse. Damit kannst du mich jagen.«
Als Meißner zum Firmengelände kam, stand der schwarze Wagen des laut eigenem Werbeslogan ältesten Bestattungsunternehmens Ingolstadts auf dem Hof. Es war zwar kein Cadillac und auch kein Jaguar E-Type, Baujahr 1961, trotzdem musste Meißner bei seinem Anblick an den Kult-Film aus den Siebzigern denken, in dem ein junger Mann auf immer wieder neue, spektakuläre Weise seinen Selbstmord inszeniert und mit einem Cadillac-Leichenwagen oder einem umgebauten Jaguar durch die Gegend gondelt. Die Filmmusik war von Cat Stevens, der heute einen weißen Vollbart trug, als sechsfacher Vater in Dubai lebte und sich Yusuf nannte.
Brunner hatte vorgeschlagen, die Leiche in einem Kühllaster zu transportieren, aber Ingolstadt war ja nicht der Wilde Westen. Ein Leichentransport musste von einem Bestattungsunternehmen vorgenommen werden, zumindest in Deutschland. Ob sie die Thermokiste beim Transport in eine Zinkwanne stellen oder sonst irgendeinen Schutz gegen Tauflüssigkeiten im Wagen installieren würden, wusste Meißner nicht, wollte es aber auch gar nicht wissen. Der Geschäftsführer war eine ausgebildete Bestattungsfachkraft. Wem, wenn nicht ihm, konnte man eine TK -Leiche anvertrauen.
In der Kühlhalle traf Meißner mit den Bestattern zusammen. Ein älterer Herr, seriös, grau meliert und anscheinend stumm, und ein dynamisch wirkender stämmiger junger Mann. Das blonde Haar trug er sehr kurz rasiert, nur oben auf dem Kopf lag eine kunstvoll mit Gel eingerollte Haartolle. Anscheinend der Geschäftsführer. Er befand sich im Gespräch mit Paul Rossberg von der KTU . Als Meißner näher kam, hörte er, dass sie sich über Bäume, Leichen, Ruhe-Biotope und abbaubare Bio-Urnen unterhielten.
»Was habt ihr euch denn für ein schönes Thema ausgesucht?«, fragte er.
»Na, wenn schon mal ein Fachmann da ist«, rechtfertigte sich Rossberg.
»Worum geht’s denn genau?«, fragte Meißner. »Um nachhaltiges Sterben? Den ökologisch einwandfreien Tod?«
Der Bestatter ließ sich auf kein Geplänkel ein. »Ihr Kollege hat sich bei mir nach Baumbestattungen erkundigt«, sagte er.
»Dabei werden nicht Bäume bestattet«, erklärte Rossberg, »sondern Menschen unter Bäumen. Also die Asche von Menschen.«
»Einfach so draußen im Wald?«, fragte Meißner. »Bei uns in Deutschland?«
»Bei uns herrscht zwar immer noch Friedhofspflicht«, der Bestatter rieb sich die kalten Hände, »aber es gibt spezielle Wälder, in denen das jetzt auch in Deutschland möglich ist. Das sind die sogenannten Ruhe-Forste.«
»Und dafür
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