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Eisprinzessin

Eisprinzessin

Titel: Eisprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Graf-Riemann
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interessierst du dich?« Meißner sah Rossberg an.
    »Wundert dich das vielleicht?« Paul Rossberg zeigte auf die graue Thermokiste.
    »Die meisten Menschen machen sich zu Lebzeiten zu wenig Gedanken über den Tod. Vor allem, wenn sie jung sind«, sagte der Bestatter.
    »Klar, sie sind ja auch mit dem Leben beschäftigt. Definitiv die größere Herausforderung, oder etwa nicht?«, fragte Meißner.
    Den Abtransport der Leiche in der Kiste nutzten sie zu einer Pause und kurzen Einsatzbesprechung. Jemand hatte Tee und Kaffee gebracht, alle klammerten sich im Sitzen oder Stehen an ihre Styroporbecher, die als Handwärmer dienten, und kamen sich vor wie Arved Fuchs und Reinhold Messner bei der Antarktis-Durchquerung. Meißner baute sechs Pakete Tiefkühlkost wie eine Wagenburg vor sich auf: dreimal viereckige Pizza der Marke »Krusta«, einmal Feinfrost-Gemüse, einmal Moskauer Eis und einmal Buletten für Hamburger der fantastisch klingenden Marke »Grilletta«.
    Rossberg kam näher, bestaunte ungläubig die viereckige Pizza und las die Geschmackssorten vor: »Geflügel-Krusta mit Hühnerfleisch und Gemüse. Spreewald-Krusta mit Sauerkraut, Hackfleisch und, Moment mal, saurer Sahne. Und zu guter Letzt: Teufels-Krusta mit scharf gewürztem Fleisch und Käse überbacken.«
    »Ist das aus dem Osten?«, fragte Brunner. »Hast du das von da drinnen?« Er zeigte in Richtung Kühlhalle.
    »Aus dem letzten Regal«, sagte Meißner.
    Als Meißner das metallische Klicken hörte, dachte er, Brunner mache Witze. Dann aber drehte er sich um und sah, dass sein neuer Kollege es ernst meinte. Er hatte Eberl tatsächlich Handschellen angelegt, bevor dieser noch den ersten Schritt hinaus auf das Kopfsteinpflaster der Neuburger Altstadt machen konnte. Ein Königreich für einen Sheriffstern, dachte Meißner.
    Auch im Wagen nahm er sie ihm nicht ab, aber Eberl protestierte nicht einmal. Er schien sich weggebeamt zu haben, sah zum Fenster hinaus, als habe er die steil abfallende Gasse noch nie zuvor in seinem Leben gesehen. Brunner saß am Steuer, aus dem Radio trällerte irgendeine der viel zu früh verstorbenen Sängerinnen, die mit ihrem Ruhm, den Männern oder sich selbst nicht zurechtgekommen waren. Die Wischblätter kratzten über die anfangs noch halb trockene Scheibe, und Meißner war froh, dass er nicht selbst am Steuer saß. Seine Brille hatte er zwar mittlerweile immer dabei, da es ohne gar nicht mehr ging, trotzdem verschwammen die nasse Fahrbahn, Mittelstrich, Seitenmarkierung und Leitplanken vor ihm zu einer Landepiste mit unübersichtlich vielen sich überschneidenden Beleuchtungsquellen. Alles blinkte und spiegelte, während Brunner wie ein rasender Roland über die Landstraße preschte. Als es in Ingolstadt endlich auf die A 9 ging, schaffte es Meißner nur mit einem gelegentlichen hektischen Wedeln der Hand, Brunner von zweihundert auf hundertsechzig runterzubremsen. Offenbar hatte der Kollege Spaß am sportlichen Fahren, nur Meißner spürte den dringenden Wunsch, sein Pensionsalter in persona zu erreichen.
    Kurz vor dem Rasthof Holledau sagte Eberl, dass ihm schlecht sei. Brunner hatte gerade gegen Meißners Willen die zweihundertzwanzig angetestet und schaffte es nicht mehr, in die Ausfahrt abzubiegen. Meißner kramte eine Warnweste aus dem Handschuhfach und reichte sie nach hinten. Spucktüten gab es im BMW keine. Am Rasthof Schweitenkirchen fuhr Brunner endlich raus, aber Eberl gelang es nicht mehr auszusteigen. Er erbrach sich noch während des Einparkens in die Warnweste. Brunner fluchte, Meißner öffnete das Fenster. Konnte nicht viel gewesen sein, was Eberl am Morgen gegessen hatte. Zum Glück. Sie entsorgten die Warnweste am Parkplatz, und Brunner begleitete Eberl zu den Toiletten, während Meißner Kaffee für alle besorgte.
    Als sie sich in der Raststätte an einen Tisch gesetzt hatten, sprachen sie kaum ein Wort miteinander. Jeder blieb für sich, jeder seine eigene Insel. Eberl war blass und trank gierig seinen schwarzen Kaffee, Meißner studierte von seinem Platz aus die Titelseiten der Illustrierten. Fleischige Kingsizebrüste, schnelle Autos, ein ausgewähltes Sortiment für den Fernfahrer.
    Die Frau an der Theke, die abwechselnd kassieren, Brezen aufbacken und Kaffee ausschenken musste, sah immer wieder zu ihnen herüber. Sie bekam bestimmt nicht jeden Tag einen Mann in Handschellen zu Gesicht. Meißner fiel auf, dass sie schlechte Zähne hatte. Seit er kürzlich erfahren hatte, dass es Menschen gab, die

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